return – Magazin für Transformation und Turnaround
Resilienz-fokussierte Unternehmensfinanzierung in Zeiten von COVID-19
Niklas Bartelt und Ulrich Hommel
COVID-19 hat die deutsche Volkswirtschaft ohne Vorwarnung in eine tiefe Rezession gestürzt. Das DIW prognostiziert für 2020 einen Rückgang des BIP von ca. -9,4% (Statista, 13.8.2020) und hat damit einen größeren Einschnitt als jemals in einem Nachkriegsjahr gemessen. Unternehmen sind überdurchschnittlich betroffen, wenn ihr Geschäftsmodell wesentlich durch die Krise bzw. deren Management eingeschränkt wird. Dazu gehören Mobilitätsbeschränkungen (öffentlicher Nahverkehr, Tourismus), Regeln des Social Distancing (Einzelhandel, Gastgewerbe), Lieferkettenschwierigkeiten (Pharma) oder strukturelle Veränderungen des Kaufverhaltens, z.B. Aufschub von Investitionsentscheidungen (Automobilsektor).
Die Luftfahrt gehört beispielhaft zu den Branchen, die besonders durch COVID-19 belastet werden. Trotz der positiven Performance der Cargo-Sparte reduzierten sich bspw. die Erlöse der Lufthansa AG im 2. Quartal um 80% (EUR -7,5 Mrd. im Vergleich zum Vorjahr) und die Konzernliquidität um ein Drittel auf EUR 2.8 Mrd. Der EBIT des ersten Halbjahres fiel von EUR 417 Mill. in 2019 auf EUR -3.5 Mrd. in 2020, was ungefähr dem Nettoergebnis (EUR -3.6 Mrd.) für diesen Zeitraum entspricht.
Neue Herausforderungen für die Unternehmensfinanzierung
Finanzvorstände sehen sich mit schwerwiegenden Herausforderungen konfrontiert. Aktuell überwiegt in vielen Fällen die Sorge um die Sicherung der Zahlungsfähigkeit. Kreditlinien werden ausgeschöpft, um deren Kündigung zuvorzukommen, sie werden erweitert, strukturell neu verhandelt und ggf. durch andere (optionale) Finanzierungszusagen ergänzt. Im Gegensatz zur Finanzkrise 2008 kommt jedoch erschwerend hinzu, dass weiterhin ein hoher Grad an Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Pandemie besteht und die Krisenursachen unmittelbar in der Realwirtschaft verankert sind.
Staatliche Unterstützungsprogramme haben bisher in erheblichem Maße zur erfolgreichen Krisenbewältigung beigetragen, aber wie die Politik auf eine mögliche zweite und dritte Welle reagieren wird, ist unklar. Das momentan attraktive Zinsumfeld könnte sich ebenfalls drehen, wenn die allseits erwartete Insolvenzwelle zu erheblichen Ausfällen im Kreditgewerbe führen sollte. Wieviel Liquidität ist also erforderlich, um sicher durch die Krise zu kommen? Kein mathematisches Modell liefert hierzu überzeugende Antworten.
Krisen bieten immer auch Chancen. Wenn Unternehmen ihre Energien ausschließlich auf die Gefahrenabwehr konzentrieren, dann verpassen sie höchstwahrscheinlich Zeitfenster, um ihr Geschäftsmodell für die Zeit nach COVID zu adjustieren. Risikomanagement und Finanzierungspolitik ergänzen sich hierbei mehr als je zuvor, quasi zwei Seiten derselben Medaille.
Herkömmliche Handlungsmuster werden allerdings nicht mehr funktionieren. Es geht zunächst darum, die neuartigen Risiken in ihrer Gesamtheit zu verstehen und sie auf Branchen- und Unternehmenseffekte herunterzubrechen. Anschließend gilt es, die unternehmerische Resilienz zu prüfen und ggf. zu verstärken. Diese besteht aus drei Facetten:
(1) Fähigkeit externen Schocks zu widerstehen,
(2) Fähigkeit nach einem Schock in den Ausgangszustand zurückzukehren und
(3) Fähigkeit aus Schocks einen nachhaltigen Nutzen zu ziehen (auch Anti-Fragilität bezeichnet).
Die nachfolgenden Abschnitte vertiefen diesen Themenkomplex.
VUKA x COVID-19 = ?
Unternehmen werden heutzutage durch eine Vielzahl unterschiedlichster Marktdynamiken beeinflusst, die im Regelfall dem VUKA-Muster folgen (sich stochastisch verändernde Volatilität (V), nicht durch Wahrscheinlichkeiten beschreibbare Unsicherheit (U), erschwerte Interpretierbarkeit aufgrund system-inhärenter Komplexität (K) sowie Ambiguität (A) hinsichtlich der Auswirkungen auf das Unternehmen) und die in ihrer Gesamtheit disruptive Transformationsprozesse auslösen können. Häufig handelt es sich hierbei um sogenannte „Gray Rhino“-Risiken, d.h. Veränderungen, die sich langfristig ankündigen, sich zunächst nur graduell auf das Unternehmen auswirken, beim Überschreiten eines kritischen Wendepunkts jedoch deutlich an Geschwindigkeit gewinnen und dadurch bestehende Geschäftsmodelle in Frage stellen. Künstliche Intelligenz, Klimawandel, oder geopolitische Verwerfungen sollen hier beispielhaft erwähnt werden.
COVID-19 überlagert diese allgemeinen Transformationsprozesse und führte zu massiven und auch weiterhin nur eingeschränkt prognostizierbaren Auswirkungen auf Gesamtwirtschaft und Unternehmen. Gleichzeitig erhöht COVID-19 aber auch die Grundgeschwindigkeit der „Gray Rhinos“ und verkürzt dadurch die zeitliche Distanz bis zum Erreichen kritischer Wendepunkte, die unternehmerischen Handlungsbedarf signalisieren.
Aus Finanzierungssicht stellt das Zusammenspiel von COVID-19 und „Gray Rhinos“ die eigentliche Herausforderung der aktuellen Krise dar. Viele Unternehmen verzeichnen einen erhöhten kurzfristigen Liquiditätsbedarf aufgrund von volkswirtschaftlichem Negativwachstum und branchenspezifischen Einflüssen. Gleichzeitig werden zusätzliche Finanzmittel benötigt, um die grundsätzlicheren Transformationsherausforderungen in einem schnelleren Tempo anzugehen.
Merkmale und Vorteile Resilienz-fokussierter Finanzierungpolitik
Die aktuelle Krise kann das Wettbewerbsumfeld eines Unternehmens nachhaltig verändern. Mit seinem Angebot von stabilen Videokonferenzen für begrenzte Internet-Bandbreiten zählt Zoom Video Communications Inc. bspw. zu den großen Gewinnern der letzten Monate. Gleiches gilt für den Online-Handel und Handelsplattformen wie Amazon. Die Krise wirkt hier als Wachstumsbeschleuniger, der kurzfristig die Beschaffung zusätzlicher Finanzmittel für die Hochskalierung der Kapazität bei stabilem Geschäftsmodell erfordert.
Andere Unternehmen haben mit einer temporären Störung ihres Geschäftsmodells zu kämpfen. Der Fokus liegt in diesem Fall auf der Liquiditätssicherung und dem Kostenmanagement. Durch die Auflegung von Restrukturierungsprogrammen kann gleichzeitig der Abbau von „Legacy Assets“ vorangetrieben werden. Zusätzlicher Finanzierungsbedarf wird dadurch im Regelfall entstehen.
Die aktuelle Krise wird in vielen Fällen etablierte Geschäftsmodelle in Frage stellen. Dazu zählt beispielsweise die Produktion fossiler Brennstoffe, die sich einem langfristigen Transformationsprozess aufgrund der Klimaziele und der Verbilligung alternativer Technologien wie Solar- und Windenergie stellen müssen. Diese Herausforderungen werden durch den COVID-induzierten Nachfragerückgang massiv verstärkt und vorgezogen. Finanzierungsbedarf entsteht in diesem Fall durch den kurzfristigen Ertragsrückgang sowie der mit Innovationsanstrengungen versehenen Neuorientierung des Geschäftsmodells.
Egal ob das existierende Geschäftsmodell aufgewertet, beschädigt oder nur temporär gestört wird, es bedarf zusätzlicher Mittel zur Liquiditätssteigerung sowie die Finanzierung von längerfristigen Restrukturierungs- bzw. Wachstumsmaßnahmen. Dazu muss das operative Krisenmanagement mit der strategischen Neuausrichtung des Unternehmens verkoppelt werden. Die folgenden Komponenten (die 3 M) sind hierbei entscheidend:
Messen: Cash-Flow-Planung wird ergänzt durch anspruchsvolle, mit heuristischen Elementen ergänzte Analyse von Stress-Szenarien, um die Verfügbarkeit und die Notwendigkeit der Erschließung externer Finanzierungsquellen zu messen.
Maßnahmen: Das Portfolio finanzierungserschließender Maßnahmen wird nach den Aspekten Machbarkeit und Kosten-Nutzen-Abwägung priorisiert.
Machen: Ein robuster, aber in sich auch flexibler Finanzierungsplan (Feedback Loops zur Nutzung von Lerneffekten) wird aufgestellt, umgesetzt und regelmäßig vom Top-Management überprüft.
Finanzielle Resilienz besteht aus der Fähigkeit kurzfristig operative Kosten zu senken (aktuell vor allem in den Bereichen Marketing, Real Estate, Personal und Sales), Geschäftsabläufe und Investitionspläne mit einem hohen Grad an Flexibilität zu versehen (inkl. Standortschließungen), und Umsätze mit einem hohen Maß an Kundenloyalität zu sichern. Konditionale Finanzierungslösungen fungieren dabei wie ein Mantel der finanziellen Resilienz, der bei Bedarf für die kurzfristige Gefahrenabwehr eingesetzt werden kann.
Externe Kommunikation spielt als unterstützende Maßnahme eine zentrale Rolle – von der Industrienorm abweichendes Finanzierungsverhalten kann ohne Vertrauen der alten und neuen Kapitalgeber nicht aufrechterhalten werden (z.B. wenn gleichzeitig Aktienrückkaufprogramme auf Eis gelegt werden oder Dividendenkürzungen in Aussicht gestellt werden). Gleiches gilt im Übrigen für die interne Kommunikation – organisatorische Agilität und operative Wahrnehmung von Wettbewerbsverschiebungen kann nicht gelingen, wenn die Mitarbeiter nicht „an Bord“ sind.
Beispielhafte Stellhebel der Finanzierungs-Resilienz
Ein typischer, interner Resilienz-Stellhebel ist die Nutzung bestehender Netzwerke mit in der Wertschöpfungskette vorgelagerten Unternehmen. Zahlungsziele werden insgesamt hochverhandelt und für eine ausgewählte Riege von Partnern nur teilweise ausgereizt. Kommunikation ist hierbei ein wichtiger Baustein, um die Erwartungen bzgl. des Ziehens dieser Puffer in Krisenzeiten zu managen und ggf. zusätzlichen Goodwill bei den Partnern zu schaffen.
Stellhebel der externen Finanzierung sind insbesondere Kreditlinien, aber auch die Auswahl und das Partnermanagement der Kern-Bankbeziehungen sowie eine Diversifikation der Liquiditätspools. Wenn bereits ausreichend Kreditlinien gesichert wurden, sollten zudem Trigger-Punkte für das Ziehen dieser Linien definiert werden. Bei Kern-Bankbeziehungen ist eine Kombination von partnerschaftlichem Dialog mit klarer Formulierung der Erwartungshaltung wichtig, um eine gegenseitige Vertrauensbasis zu schaffen, hingegen eine Bittsteller-Rolle erst gar nicht aufkommen zu lassen.
Alternative Liquiditätspools wie Commercial Paper, Schuldschein-Darlehen oder Asset-Backed-Verbriefungen haben sich als sinnvolle Diversifikations-Maßnahmen erwiesen, doch nicht alle Unternehmen haben hierzu Zugang. Ideal ist die Etablierung eines institutionellen Zugangs zu Emissionsplattformen, deren Nutzung bei Bedarf kurzfristig intensiviert werden kann.
Der Markt für die klassischen alternativen Finanzierungsformen wie Factoring, Leasing etc. hat sich durch FinTechs und Transformationen etablierter Player verändert, so dass hier ein zweiter Blick Sinn machen kann. In einigen Situationen kann auch Crowd-lending/-funding von Interesse sein. Nicht zu übersehen, aber auch weniger transparent, ist die Erweiterung des Angebots von Mezzanin-Finanzierungen. Dies resultiert in einer größeren Breite und Tiefe von Finanzierungsoptionen, insbesondere wenn die Verwässerung der Unternehmenskontrolle keine zentrale Bedeutung beigemessen wird.
Fazit: Resilienz zur Steigerung der dauerhaften Wettbewerbsfähigkeit
Gerade Finanzvorstände sehen sich vor großen Herausforderungen durch COVID-19. Für viele Unternehmen verstärkt und beschleunigt diese Krise die destruktive Kraft von strukturellen Transformationsprozessen. Es ist geradezu verführerisch, sich in einer solchen Situation in operative Krisenstabs-Hektik zu flüchten und allein die Symptome der strukturellen Herausforderungen zu bekämpfen. Richtig und wichtig ist jedoch, neben der notwendigen Basisarbeit der Krisenbewältigung, die Ursachen der strategischen Herausforderungen bzw. Chancen schonungslos offenzulegen und konsequent zu adressieren. Darauf aufbauend kann eine systematisch abgeleitete Stärkung der Resilienz der Unternehmensfinanzierung helfen, diese Krise und künftige Verwerfungen erfolgreich zu meistern.
Dr. Niklas Bartelt ist Senior Advisor der DZ Bank AG und war zuvor Gründungsgeschäftsführer der paydirekt GmbH und Managing Director der DZ Bank AG.
Prof. Ulrich Hommel, Ph.D. ist Lehrstuhlinhaber für Unternehmens- und Hochschulfinanzierung an der EBS Business School, Wiesbaden. Er ist Mitherausgeber des Standardwerks Handbuch Unternehmensrestrukturierung, erschienen bei Springer-Gabler.