Frei sein, ein Freies Radio leiten. Ein Widerspruch in sich: man kann nicht das leiten, was frei sein soll. Doch, was nicht angeführt wird, das funktioniert nicht. Arbeit macht uns nicht frei, diese Grausamkeit wollen wir irgendwann mal endlich hinter uns haben. Freiheit macht uns arbeiten, das ist wahr, dazu verspüren wir aber kaum Lust. Lustig sein, darauf haben wir Lust – wie langweilig, mit der Zeit. Radio F.R.E.I. ist also eine Lüge, ein Ort des Widerspruchs, ein nicht sanierter Ort unseres Gewissens, etwas, dass die Wessis nicht verderben konnten, obwohl sie durch Gesetze, Aufsetze, Landesmedienanstalten und Landesmediengestalten es aufrichtig versucht haben. Radio F.R.E.I. ist die DDR, so wie wir sie haben wollten: zwanghaft und beruhigend, anspruchsvoll und anstrengend, geleitet und gelitten, befreiend und hemmend zugleich. Hier liegt die Antwort nicht, in diesem Widerspruch, also ein Schritt zurück!
Radio machen, Radio sein. Zwanzig Jahre lang, nicht mal wegen Mordes kriegt man so viel. Sich einbilden, wir reden den Menschen was ein, wir teilen etwas mit. Am Anfang wollten wir nur unsere Hoffnung, Begeisterung, Eitelkeit, Besinnung, Kraft, Jugend, Tatendrang, Veränderungswille mitteilen. Es fehlt der Hintergrund – was soll’s? Radio sein, sich in die Köpfe einschleichen, die Tür durch die Musik öffnen und dann, wenn wir einmal drin sind, die Seele der anderen ändern, beeinflussen, uns heimlich machen, denn wir fühlen uns des Öfteren fremd, befremdlich, befremdet. Aber dazu brauchen wir Geld, Einrichtung, Technik – und Wissen, alle Dinge, die aus der befremdlichen Gesellschaft kommen. Kompromisse. Sogar die Musik kommt von dort. Also, DIE sind in unserer Seele eingedrungen, bevor wir uns effizient daran gemacht haben, ihre Seele zu erforschen. Viele von uns scheitern daran, sie geben auf. Andere werden härter, wie ein bleierner Kork, der die Generalsversammlung des Radios hemmt und Angst verbreitet, denn wir MÜSSEN funktionieren. Das Radio machen ändert sich. Wir machen kein Radio, das Radio macht uns. Wer das kann, der bleibt, die anderen fliegen wie gebrauchte Fetzen herum. Noch ein Widerspruch. Noch ein Schritt zurück, bitte!
Machen, sein. Hier, in der vergessenen Provinz eines nie dabei gewesenen Imperiums, wo die Leute nur aus Versehen hinkommen und dennoch bleiben, denn Erfurt ist wie ein verschmolzenes Kaugummi, dass dich ausdehnt und sofort wieder zurückzieht. Gekaut zu sein, wie beruhigend. Alle, wir alle zusammen, wie Bakterien, die den Zähnen des Lebens damit entkommen, im schlimmsten Fall werden wir zu Karies. Anerkennung ist überflüssig, wir sind immer die selben, auch die neuen, die dazu gestoßen sind. Alle jene, die wir gern verändert hätten und sich nicht mal erkennen ließen, denn Aufrichtigkeit ist zunehmend Mangelware. Was tun? Ins bürgerliche Leben eintapsen, so traurig und müde werden, jegliches Interesse am Puls des Existierens verlieren? Oder versacken, von Staatsalmosen leben, verzichten, und sich herausnehmen? Kläglich klagen? So wird man nicht, so ist man nicht. Wir können euch nicht erklären, warum wir es wissen, aber das wissen wir mit jeder Zelle unseres (Verblüffenderweise) älter werdende Körpers. Wir schreien es. Wir haben kein Mittel, um diese Botschaft in euere Seele eindringen zu lassen. So viel über die Macht des Rundfunks. Dabei fühlen wir uns ständig abgelehnt. Wir müssen alles verarbeiten, was uns passiert und uns verwesen lässt – Arbeiten, Ehe schließen und scheiden lassen, Wohnen, sich mit der Bürokratie auseinandersetzen, Angst vor der Ungewissheit der Zukunft pflegen, Krank werden, zu viel Alkohol trinken, anstatt Erwachsen zu werden, und schlussendlich doch (versehentlich) Erwachsen werden…
Nein, wir müssen was tun. Egal, ob es ankommt oder nicht. Egal, ob zwanzig Jahre vergangen sind und wir darauf zurückblicken und denken – ohmannomann, das war manchmal vertane Zeit und lieblose Mühe. Fehler über Fehler, Trauer und Begeisterung mit Schwitzen amalgamiert. Eine halb gelatinöse, halb überreizte Masse, die wir nicht mehr benennen können, sicher nicht schön anzuschauen. Unser Leben. Wir müssen raus aus den Häusern, zurück auf die Straße. Durch das Radio, denn das Radio gibt uns einen Weg. Es zeigt uns, wie wir überhaupt noch frei sein könnten, eines Tages.
Der gelebte Traum von Radio F.R.E.I. ist nicht so schön, wie der Traum selbst? Willkommen in Ostdeutschland, Land der verlogenen Wahrheit, die über die Lüge siegt. Wir sind auch nicht so grandios, wie wir gern von uns erwartet hätten und nie gewagt haben.
Wagen, wagen, wagen… das ist das Radio. Kein Traum, keine Wirklichkeit, kein Leben, kein Tod, keine Veränderung… Radio F.R.E.I. ist uns, wenn wir wagen. Ist das Beste und das Schlechteste, was wir leisten konnten – es den anderen zeigen, bloß und nackt, wie es keiner mehr wagt. Poesie? Auch, warum nicht, lass uns nicht mit dem Pathetischen sparsam sein.
Poesie ist nicht vollkommen, ist nur mutig. Nein, keine Träne, die leisten wir privat gegen ein bisschen Zusatzgeld. Selbstmitleid? Manchmal, danke. Wir sind. Und auch, wenn ihr nicht zuhört, haben wir euch bereits ein bisschen verändert, unabsichtlich, unterschwellig. Wir sind Ihr. Das Radio von Erfurt, die Stadt, welche Schizophrenie als Rettung auslebt. Weg aus eueren Köpfen, die schneller waren als unsere Fähigkeit die Welt zu verändern, zurück in euer Gewissen und Gefühl. Versucht mal, uns zu bändigen, wenn ihr könnt…
Paolo Fusi