Virtual Voice
Als Stimme bezeichnet man gleichzeitig einen Klang, eine Klangquelle und eine Person. Was passiert, wenn diese drei Elemente von ihren Körpern entkoppelt werden ? Welche Beziehungen zum Publikum können entstehen?
Die Stimme ins Zentrum einer theatralen Forschung zu stellen, bedeutet für mich eine spannende Herausforderung. Stimme ist nicht nur der Laut, den ein Mensch produziert. Sie ist ein Konzept, welches Klang, Sprache und Identität beinhaltet. Diese drei Aspekte der Stimme, welche im Theater von grosser Relevanz sind, möchte ich analysieren. Um dies zu tun, müssen diese Elemente entwirrt und aufgetrennt werden. Dazu möchte ich die Stimme vom Köper der/des SchauspielerIn trennen.
Ziel der Forschung ist es, nachdem ein fundiertes theoretisches Wissen erarbeitet wurde, zu einer theatral-sinnlichen Präsentation dieser wissenschaftlichen Ergebnissen zu kommen.
Meine Fragen für die Recherche sind Folgende:
● Was kann die Stimme vermitteln, wenn der Körper abwesend ist?
● Wie können Figuren erschaffen werden, nur durch den Klang einer Stimme?
● Wie kann die Interaktion zwischen mehreren SchauspielerInnen eine einzige Identität (mit einer einzigen Stimme) entstehen lassen?
Schritte der Recherche: Klang - Raum - Identität
● Erstes Tryout (Thema Klang), in dem ich mit einer Gruppe von ZuschauerInnen die Wirkungsmöglichkeit der Stimme analysiere: Wie funktioniert eine (einzelne) körperlose Stimme? (verwendet werden Texte aus der Theaterliteratur, die aus dem Off /hinter der Kulisse gesprochen werden). Die Resultate werden mit den ZuschauerInnen im Dialog ausgewertet.
● Zweites Tryout (Thema Raum), in dem die Wirkungsweisen mehrerer körperloser Stimmen, welche nacheinander oder gleichzeitig Sprechen, in unterschiedlichen (Wirkungs)Räumen untersucht werden. Die Resultate werden mit der gleichen Gruppe ZuschauerInnen im Dialog ausgewertet.
● Drittes Tryout (Thema Identität), in dem die Stimmen und die stimmlosen Körper der SchauspielerInnen zusammen/gleichzeitig agieren. Die Resultate werden mit der gleichen Gruppe ZuschauerInnen im Dialog ausgewertet.
Erstes Tryout
Beispiele über die Bearbeitung der Textelementen:
Element: Wiederholung
Wiederholung 1.1 || Wiederholung 1.3
Drei Beispiele aus dem ersten Tryout :
(A) Bearbeitung des Textes, (B) Art des Sprechens, (C) Elektroakustische Bearbeitung.
Ist inhaltstragender, was man sagt, oder wie man es sagt? Wie reagiert das Publikum, wenn sich das Verhältnis vom Inhalt des Texts und der Art, wie er veräussert wird, stufenweise verändert?
Wie können Figuren nur durch den Klang einer Stimme erschaffen werden?
Eine Stimme trägt gleichzeitig eine klangliche Gestalt und einen Inhalt. Beide können relevant sein. Aber welche Zusammenhänge können zur Wahrnehmung einer Identität beitragen und welche verwirren das Publikum eher?
Diese Fragen wurden im ersten Versuch bearbeitet. Zusammen mit vier verschiedenen Gruppen habe ich unterschiedliche Kombinationen von Klang und Text vorbereitet. Der Versuch dauerte 45 Minuten für jede Gruppe. Es wurden 27 verschiedene Beispiele abgespielt, unterteilt in 3 verschiedene Makro-Themen, die jeweils wiederum in 9 Unterthemen aufgeteilt waren.
Derselbe Text ist mehrmals aufgetaucht, aber mit verschiedenen Arten der Bearbeitung und des Vortrags.
Die genaue Organisation des Materials ist hier einsehbar.
Die Resultate des Versuchs sind im folgenden Video präsentiert.
zweites Tryout
Der Klang enthält zwei Räume: den Raum der Klangquelle und den Raum, in dem er auf uns trifft. Wie lässt sich eine Präsenz in einem Raum ohne Körper erzeugen?Welche Beziehungen zum Publikum sind für meine Forschung interessant? Welche Rolle spielt die Interaktion für das Verhältnis mit dem Publikum?
Zweites Tryout, in dem die Wirkungsweisen mehrerer körperloser Stimmen, welche nacheinander oder gleichzeitig sprechen, in unterschiedlichen (Wirkungs-) Räumen untersucht wurde. Im Februar 2020 fing ich mit der Vorbereitung des 2.Tryouts an, es war auf den 11. April geplant. Zusätzlich zum ursprünglichen Plan sollte die Interaktion mit dem Publikum eine wichtige Rolle spielen. Dieses Tryout wurde aufgrund des Lockdowns abgesagt.
Dieses Thema habe ich in den folgenden Versuch umgewandelt.
Drei Beispiele aus dem zweiten Tryout :
Nur Audio - Spieler im Raum mit Spiegel-Situtation - Spieler bewegt sich, reale Begegnung
Bitte mit Kopfhörer anschauen!
Wenn kein physischer Raum zur Verfügung steht, bleibt der Phantasieraum der Zuschauer*Innen. Wie kann man diesen Raum bespielen? Bietet das 360-Grad-Video eine Möglichkeit, die Zuschauer*Innen selbst zur Bühne werden zu lassen?
Der Raum um das Publikum wird zum Raum im Publikum. Aufgrund der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus habe ich mich entschieden, die Form des Tryouts zu ändern.
Der Raum, den ich mit diesem Versuch erforsche, ist dabei der Innenraum einer einzelnen Person. Die Grenzen dieses Innenraums werden durch verschiedene Formen von virtuellen Erfahrungen getestet.
Die Zuschauer*innen werden durch den Einsatz von Kopfhörer und VR-Brille in einer neuen Dimension mit einbezogen.
Zwar widerspricht in diesem Fall der Einsatz von Videomaterial meiner ursprünglichen Absicht, die Stimme vom Körper der Schauspielerin / des Schauspielers zu trennen. Jedoch sind die Körper hier lediglich Bildmaterial – das Zeigen eines Körpers auf Video dient dazu, eine Spannung zwischen dem zu erzeugen, was die Zuschauer*innen hören und dem, was sie sehen. Auf diese Weise reflektiert sich hier die Diskrepanz zwischen dem Raum, in dem sich das Publikum befindet und dem Raum, den das Publikum hörend wahrnimmt, wie sie ursprünglich im 2. Tryout angedacht war. Es wird in diesem Fall nicht versucht, eine Figur zu “zeigen” oder “darzustellen”, sondern sie bei den Zuschauer*innen selbst entstehen zu lassen oder sie auf sie zu projizieren. Wann entstehen Figuren beim Publikum? Was braucht es, damit das Publikum eine Entstehung der Figuren überhaupt zulässt?
drittes Tryout
Es gibt keine Stimme ohne Körper, aber trägt die Stimme allein unsere Identität?
Wo findet das Erschaffen von Identität überhaupt statt?
Können Identitäten auf der Bühne wahrnehmbar werden, auch wenn kein verortbarer Bezug zwischen diesen Identitäten und physischen Körpern besteht?