Wie vertrauenswürdig und nachvollziehbar sind Informationen, die wir von Parteien erhalten?
Sarah Elser - Dezember 2017
Bundestagswahl – alle Jahre wieder
Alle vier Jahre, zur Zeit der Bundestagswahl, erwacht das allgemeine Politikinteresse wieder zum Leben. Viele werden plötzlich zu Wirtschafts- und Politikexperten oder geben ihren Unmut über die Lage kund. Wahlplakate hängen überall und Parteimitglieder bekommen Newsletter mit aktuellen Berichten über die Errungenschaften und Ziele der jeweiligen Partei, und der Aufforderung sich am Wahlkampf zu beteiligen. Dieses Jahr gab es als Neuerung und als Vorstoß ins 21. Jahrhundert sogar SMS oder eine App von verschiedenen Parteien. Auch die SPD hat verschiedene Nachrichten über SMS rund um die Bundestagswahl versendet, die im Folgenden genauer betrachtet werden sollen. Im Zuge dessen will ich herausfinden, wie vertrauenswürdig die von der SPD versendeten Daten sind, und wie hoch die Resonanz auf die Aufforderungen war, Selfies auf sozialen Netzwerken mit bestimmten Hashtags zu posten.
Widrigkeiten durch Fake News
Eine neue Hürde im Wahlkampf 2017 bestand aus der neuen Bedrohung durch Fake News. Dies sind laut der britischen Zeitung „The Guardian“ frei erfundene Falschmeldungen, die stattdessen seriös und glaubwürdig wirken, um eine möglichst hohe Aufmerksamkeit und Weiterverbreitung zu generieren und damit Werbeeinnahmen erzielen.
In its purest form, fake news is completely made up, manipulated to resemble credible journalism and attract maximum attention and, with it, advertising revenue. – The Guardian[1]
Sie werden manipulativ verbreitet und verteilen sich oft viral in sozialen Netzwerken.
Nachrichten von Parteien
Fake News in ihrer reinen Form kommen bei großen, etablierten Parteien höchst unwahrscheinlich vor. Doch auch die von Parteien veröffentlichten Informationen, die in Pushnachrichten einer App, in Newslettern oder in SMS zu lesen sind, sollten kritisch hinterfragt werden. Denn wer sich ausschließlich informationsreiche Links und Anstoß zu interessanten Diskussionen erhofft, wird enttäuscht. Stattdessen erhält man Aufforderungen zu Selfieposts mit einer Hashtagverlinkung wie „MartinMachts!“ kurz vor dem TV-Duell.
SMS SPD 1
Tatsächlich findet man unter diesem Hashtag in Bezug auf das TV-Duell über 70 öffentliche Beiträge auf Facebook.[2] Allerdings stammen diese fast ausschließlich von SPD Bundestagsabgeordneten, SPD Verbandsvorsitzenden und SPD Direktkandidaten. Diese betreiben durch ihr Amt naturgemäß stärkeren Wahlkampf, als bloße Parteimitglieder, die unter diesem Hashtag nur sehr vereinzelt zu finden sind.
Nach dem TV-Duell soll man laut der nächsten SMS eine Nachricht an 10 FreundInnen weiterleiten, entweder per SMS oder WhatsApp, die berichtet, dass Martin Schulz im TV-Duell überzeugt hat.
SMS SPD 2
Dies ist sicher subjektiv zu bewerten, die Zahlen der (späteren) Umfragen sprechen aber anderes.
Am nächsten Tag gibt es aber handfeste Zahlen. 48% der jungen Menschen soll Martin überzeugt haben, Merkel dagegen nur 23%.
SMS SPD 3
Auch diese frohe Kunde soll ich an 10 FreundInnen über dieselben Nachrichtendienste wie zuvor senden. Hier stellt sich die Frage, wie alt genau eigentlich junge Menschen sind. 14 – 35 Jahre wie in so mancher Jugendpartei? Wobei überzeugte 14-Jährige für den Wahlkampf wohl nicht entscheidend sind. Doch selbst bei einer Einteilung von 18 bis 35 Jahren ist man voller Bewunderung, da das Leben eines 18-Jährigen sich doch stark von dem eines 35-Jährigen unterscheidet, und beide zu überzeugen ist auf jeden Fall eine nicht zu verachtende Leistung. Gerne würde ich einfach die betreffende Umfrage aufrufen, um mir die Altersunterteilungen genauer anzusehen. Leider gibt es keinen Link oder Namen als Quelle dieser Zahlen.
Am Wahltag selbst erhalte ich noch eine weitere Nachricht mit dem Namen meines Direktkandidaten (der nach meinem Umzug vor mehreren Jahren nicht mehr richtig ist.) Außerdem möge ich zwei Kreuze für die SPD machen und ein Selfie vor meinem Wahllokal, verlinkt mit dem Hashtag #2xSPD.
SMS SPD 4
Eine Plattform ist nicht genannt, jedoch finden sich dazu auf Instagram ca. 50 öffentliche Beiträge von einzelnen Personen, von denen zwar auch viele SPD Politiker sind, aber auch viele Privatpersonen.[3] Auf Facebook findet man ca. 60 öffentliche Beiträge, allerdings fast ausschließlich von Politikern.[4]
Fakenews nur aus unseriösen Quellen?
Als kritischer junger Mensch, der sich viel mit Politik auseinandersetzt, hat mich das unzufrieden gestimmt. Da ich keine Quellen entdecken konnte, und auch online mit den Zahlen nichts zu finden ist, beschloss ich mich mit der Partei direkt in Verbindung zu setzen und nach der Quelle in Bezug auf die genannten 48% der jungen Leute zu fragen.
Mir wurde über Email als Quelle ein Link zugesendet.[5] Dieser führt zu einer Blitzumfrage am Tag nach dem TV-Duell, die das allgemeine Stimmungsbild nach dem TV-Duell abbilden soll. Nur leider sind darauf die 48% der jungen Leute, die Martin überzeugt haben soll, nicht zu finden. Ganz generell sind die Umfragewerte fast ausschließlich unter denen von Angela Merkel. Nur in zwei Kategorien liegt Martin Schulz laut dieser Umfrage vorne. „Angriffslustiger“ und „Bürgernäher“.
Ergebnisse der ARD Blitzumfrage[6]
Da die von mir gesuchte Information mit dieser Quelle nicht zu verifizieren ist, fasse ich noch einmal nach und bekomme die Information, man habe noch eine Statistik gefunden, in der 48% der Befragten äußern, dass Martin Schulz besser gewesen ist, als erwartet. Da das jedoch nicht die Aussage der SMS war, wird mir auf ein weiteres Nachhaken gestanden, man wisse nicht mehr, woher man die Zahl genommen hatte.
Fazit der Problematik
Für diesen Blogpost habe ich den Datajourney der Daten zurückverfolgt, die der SMS Nachricht zugrunde liegen, dass Martin Schulz 48% und Angela Merkel 23% der jungen Leute bei dem TV-Duell überzeugt haben. Als Empfänger der Nachricht markiere ich die Endstation des Datajourneys. Leider konnte der Datenjourney nicht bis zu dem Ursprung der Daten, die Datenerhebung, zurückverfolgt werden, um die Daten zu verifizieren. Somit ist die Vertrauenswürdigkeit der Daten nicht gegeben. Im heutigen Zeitalter kursieren viele manipulierte oder falsche Informationen wie Fakenews, die aktiv zur Meinungsbildung jedes Menschen beitragen. Die Konsequenzen und Gefahren zeigen sich vor allem langfristig in Wahlergebnissen oder der steigenden Ablehnung gegen verschiedene Gruppen, über die unrechte Anschuldigungen im Internet verbreitet werden. Gerade wegen dieser Entwicklung ist es besonders wichtig, dass Informationen nachvollziehbar und transparent sind, um den Endkonsumenten die eigene Überprüfung auf Vertrauenswürdigkeit und Gültigkeit der Informationen zu ermöglichen. Vor allem Parteien, die als Volksvertreter eine große Verantwortung haben, und deren Wählerstimmen stark an das Vertrauen der Wähler in die jeweilige Partei geknüpft sind, müssen die von ihnen verbreiteten Daten so nachvollziehbar und transparent wie möglich machen. Die Frage nach dem Zweck der aufgeführten Nachrichten wirkt auf den ersten Blick offensichtlich. Da man selbst Parteimitglied ist, wird man höchstwahrscheinlich die eigene Partei wählen, und soll dabei noch möglichst viele Freunde und Bekannte überzeugen dasselbe zu tun. Die fehlende Quelle zeigt, dass mit einem kritischen Wähler nicht gerechnet wird, und Neuigkeiten verbreitet werden sollen, die nicht fundiert belegt sind. Das Parteimitglied wird zu einer Art Social Bot degradiert, das blind die ihm zugeteilten Informationen verbreiten soll, ohne selbst etwas beitragen oder hinterfragen zu können. Noch dazu wird zur Teilung hochsensibler Informationen aufgerufen, wie die eigene Wahlentscheidung. Dies ist für jeden nachvollziehbar, auch für zukünftige Arbeitgeber, und kann weitreichende Konsequenzen haben. Wahlen sind nicht umsonst allgemein, unmittelbar, frei, gleich und GEHEIM. In Bezug auf Wahlen nehmen sehr viele Parteien allzu gerne den Begriff des mündigen Wählers in den Mund. Es wäre schön, würden sie ihre eigenen Mitglieder auch so behandeln.
Quellenverzeichnis
1. Hunt, Elle (17.12.2016): What is fake news? How to spot it and what you can do to stop it https://www.theguardian.com/media/2016/dec/18/what-is-fake-news-pizzagate
2. Tageschau (03.09.2017): ARD-Blitzumfrage zum TV-Duell Punktsieg für die Kanzlerin
https://www.tagesschau.de/inland/btw17/tvduell-merkel-schulz-107.html
3. eigene SMS und Emails
4. eigene Recherchen auf Facebook und Instagram
[1] Vgl. Hunt, Elle: What is fake news? How to spot it and what you can do to stop it, Where do these stories come from?, Z. 1ff
https://www.theguardian.com/media/2016/dec/18/what-is-fake-news-pizzagate
[2]Vgl. eigene Recherchen auf Facebook
[3]Vgl. eigene Recherchen auf Instagram
[4]Vgl. eigene Recherchen auf Facebook
[5]Vgl. eigene E-Mails
[6]Vgl. Tageschau (03.09.2017): ARD-Blitzumfrage zum TV-Duell Punktsieg für die Kanzlerin