Das Dopelleben des Franco A.

Der rechtsradikale Bundeswehrsoldat Franco A. gab an, Ende 2015 als syrischer Flüchtling nach Deutschland gekommen zu sein, als er sich in Bayern registrieren ließ. Etwa ein Jahr später entschied das BAMF positiv über seinen Asylantrag und gewährte Franco A. alias David Benjamin subsidiären Flüchtlingsschutz.

Nachdem sein Doppelleben im Februar 2017 aufgeflogen war, räumte Jutta Cordt, Präsidentin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, “eklatante Fehler in jedem Verfahrenschritt” ein. Zudem wurden mehrere Tausend positive Asylentscheidungen im Rahmen einer Innenrevision erneut untersucht. In der Pressemitteilung zum Abschluss der Untersuchungen wurde dabei auf die hohen Zugangszahlen verwiesen, die eine massive Beschleunigung der Verfahren in den Jahren 2015 und 2016 zur Folge hatten.

Dem EASY-System (IT-Anwendung zur Erstverteilung der Asylbegehrenden auf die Bundesländer) zufolge, wurden im Dezember 2015 127.320 Zugänge von Asylsuchenden in Deutschland registriert, davon 26.506 aus Afghanistan. Wie das BAMF zugibt, entsprechen die Zahlen jedoch aufgrund von Fehl- und Doppelerfassungen nicht der tatsächlichen Zahl der Einreisen.

Karims Geschichte

Auch Karim kam Ende 2015 als Asylsuchender aus Afghanistan nach Deutschland. Von seinem tatsächlichen Namen wird hier zu seinem Schutz abgesehen. Am 26. Dezember 2015 überquerte er die österreichisch-bayerische Grenze. Die Erfahrungen, die er seit seiner Ankunft in Deutschland gemacht hat, sollen im Folgenden Gegenstand einer Fallstudie sein, die sich mit dem Umgang mit personenbezogen Daten von Geflüchteten beschäftigt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beschreibt die Abläufe, die Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Deutschland durchlaufen müssen, sehr genau. Um die Umsetzung in der Praxis zu überprüfen, hat Karim uns in einem Interview seine Erfahrungen seit seiner Ankunft dargelegt.

Ankunft und Registrierung

Asylsuchende müssen sich unmittelbar bei oder nach ihrer Ankunft bei einer staatlichen Stelle melden. Karim tat dies nach einer Polizeikontrolle bei der Grenzüberschreitung in der Polizeistation Rosenheim. In der Abteilung für Asylbewerber wurden seine Unterlagen geprüft und Fingerabdrücke erstellt. Während Karim einen Reisepass, sowie afghanische und iranische Unterlagen bei sich trug, haben viele der Asylsuchenden, die in Deutschland ankommen, keinerlei Unterlagen bei sich. Karim erklärte uns, dass viele Geflüchtete an dieser Stelle falsche Angaben machen, um weiterreisen und in anderen Ländern Asyl beantragen zu können. Falsche Identitäten sind hier keine Seltenheit. Wie leicht die Kontrollmechanismen der Ämter zu umgehen sind, bewies nicht zuletzt der Fall Franco A., der die Motivation für das Projekt ist. Die Registrierung findet im Allgemeinen an sogenannten PIK-Stationen (Personalisierungsinfrastrukturkomponente) statt. Die Registrierung kann dabei an Einrichtungen der Bundes- und Länderpolizei, sowie an Ankunftszentren, Aufnahmeeinrichtungen und Ausländerbehörden stattfinden. Neben persönlichen Daten werden dabei auch ein Lichtbild und, sofern die Person über 14 Jahre alt ist, Fingerabdrücke im AZR (Ausländerzentralregister) gespeichert, was uns Karim bestätigte.


Der Königsteiner Schlüssel

Von den PIK-Stationen aus werden die Asylsuchenden anschließend auf die im jeweiligen Bundesland nächstgelegenen Aufnahmeeinrichtungen verteilt. Diese Zuordnung erfolgt nach dem “Königsteiner Schlüssel”, welcher sich nach den jeweiligen Kapazitäten der Länder richtet. Für Bayern beträgt diese Quote beispielsweise 15,5%.

Karim ist von Rosenheim aus mit dem Zug nach München gekommen. Erst mit der Hilfe von einigen Passanten am Münchner Hauptbahnhof hat er erfahren können, dass das Blatt, welches ihm mitgegeben wurde, ihn dem Ankunftszentrum in der Maria-Probst Straße zuordnet und eine Weiterreise nicht möglich ist. “Trotzdem sind manche in andere Städte weitergefahren. Ich weiß nicht was dann mit ihnen passiert ist.”, erzählt Karim uns. Mit dem Taxi haben seine Freunde und er es schließlich zum Ankunftszentrum in der Maria-Probst-Straße geschafft, wo sie etwa vier Tage blieben.


Von Heidemann- bis Hoffmannstraße

Weiter ging es zur Bayern-Kaserne in der Heidemannstraße, einem Flüchtlingszentrum. Hier mussten sich alle neuen Angekommenen zunächst einer ärztlichen Untersuchung unterziehen, bei der ihnen zum Beispiel Blut abgenommen wurde, um sie auf bestimmte Krankheiten zu untersuchen. Außerdem wurde Karim fotografiert und man gab ihm ein Papier, auf dem er einige Angaben zu seiner Person machen sollte. “Was ich da alles aufgeschrieben habe weiß ich nicht mehr, ich habe dieses Blatt lange nicht mehr gesehen.”, meint er. Nach der Prozedur hat er endlich seine Meldebescheinigung erhalten und wurde nach etwa anderthalb Wochen einem weiteren Heim zugeteilt, dessen Namen er schon wieder vergessen hat, da er auch dort nur eine Woche verbrachte. Seine nächste Station war dann die Gemeinschaftsunterkunft in der Hoffmannstraße. Nach jedem Heimwechsel musste Karim sich wie andere Einwohner Deutschlands auch jedesmal beim Kreisverwaltungsreferat (KVR) ummelden.


Die Asylantragstellung

Nach der Ankunft und Registrierung in Deutschland ist die persönliche Asylantragstellung in einer Außenstelle der Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder einem Ankunftszentrum der nächste Schritt. Karim stellte seinen Asylantrag am 19.August 2016. In einem Gespräch mit einer Dolmetscherin wurde er über seine Rechte und Pflichten im Asylverfahren aufgeklärt. Zudem erhielt er ein Dokument, welches eine Belehrung über Mitwirkungspflichten und allgemeine Verfahrenshinweise in persischer und deutscher Sprache. “Leider war das Gesetz aber nur auf deutsch”, kritisierte Karim.

Der Identitätsnachweis

Sofern nicht zu einem früheren Zeitpunkt geschehen werden im Rahmen der Antragsstellung außerdem persönliche Daten erfasst. Falls möglich, ist dabei auch ein Identitätsnachweis verpflichtend. Dazu werden vorhandene Pässe und Urkunden mittels PTU (physikalisch-technische Urkundenuntersuchung) überprüft. Darüber hinaus werden erneut Fotos aufgenommen und Fingerabdrücke erstellt, um einen Abgleich mit den im AZR gespeicherten Daten, die bei der Registrierung gesammelt werden, sowie mit den Daten des BKA (Bundeskriminalamt) und dem Fingerabdruckidentifizierungssystem EURODAC (European Dactyloscopy) zu ermöglichen. Nach der Antragsstellung wird eine Aufenthaltsgestattung ausgehändigt, die belegt, dass sich die Antragstellenden rechtmäßig in Deutschland aufhalten. Die Aufenthaltsgestattung ist dabei jedoch räumlich auf den jeweiligen Bezirk beschränkt, was als Residenzpflicht bezeichnet wird. Entscheidend für den Ausgang des Asylverfahrens ist die persönliche Anhörung.


Die Anhörung

Die persönliche Anhörung ist das wichtigste Gespräch für jede/n Asylbewerber/in, weshalb viele auch auf die zahlreichen Hilfen zur Vorbereitung auf die Anhörung zurückgreifen. Hier urteilt der/die Entscheider/in darüber, ob die Gründe für die Flucht, welche der/die Geflüchtete darlegt und die mitgebrachten Beweismittel für Asyl in Deutschland ausreichen. Das Gespräch ist nicht öffentlich. Mit anwesend sind außerdem ein/e Dolmetscher/in, ein/e Protokollant/in und evtl. auch ein/e Rechtsanwältin und/oder eine Vertrauensperson.

Karim hat uns von einem weiteren Gespräch erzählt, welches noch vor der Anhörung geführt werden kann, um mögliche Falschangaben selbst verbessern zu können. Dies war bei ihm jedoch nicht notwendig. Seine Anhörung hatte er am 11. November 2016, also drei Monate nach seiner Antragstellung von neun Uhr morgens bis ca. 15 Uhr nachmittags. Vorbereitet hat er sich mit Hilfe der beiden Organisationen Infobus und der Karawane. Karim hat sich gegen die Anwesenheit eines Anwalts, dafür aber für die einer guten Freundin aus Deutschland entschieden. Karim erklärte uns, dass das Gespräch in drei Teile gegliedert war. Zunächst sollte er zusammenfassen, wie er nach Deutschland gekommen ist. Anschließend musste er über seine individuellen Probleme in Afghanistan berichten und schlussendlich darauf eingehen, was passieren würde, wenn man ihn zurückschickt. Sprechen konnte er dank der Dolmetscherin auf Persisch. Dabei traten jedoch viele Verständigungsprobleme auf, da diese Iranerin war und dadurch nicht nur ihre Ausdrucksweise kulturell anders geprägt war, sondern sie auch typisch afghanische Worte nicht verstand. Daher war Karim teilweise gezwungen, auf Englisch zu sprechen.

Auf diesen Punkt kann in der abschließenden Projektarbeit näher eingegangen werden, weil insbesondere die in diesem Prozess erhobenen Daten von besonderer Wichtigkeit für den Ausgang des Asylverfahrens sind.

Überprüfung auf Glaubwürdigkeit

Bevor das Bundesamt seine Entscheidung über einen Asylantrag trifft, werden die Aussagen des/der Geflüchteten auf Glaubwürdigkeit und die potenziell eingereichten Beweisstücke auf Echtheit geprüft. Hierbei kann auf das Informationssystem Asyl und Migration des Bundesamts und dessen Datenbanksystem (MILo), in welchen Informationen über das aktuelle Flüchtlingsgeschehen gesammelt werden, sowie auf das Auswärtige Amt, Sprach- und Textanalysen, PTU und medizinische oder sonstige Gutachten zurückgegriffen werden. Außerdem sind auch Leitsätze für die häufigsten Herkunftsländer als Hilfe gegeben.

Die Schutzformen

Es gibt unterschiedliche Schutzformen, aufgrund derer dem/der Geflüchteten Asyl gewährt werden kann. Der Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention greift bei der Verfolgung nicht-/staatlicher Akteure. Eine Asylberechtigung liegt vor, wenn jemand politisch verfolgt ist, während subsidiärer Schutz gewährt wird, wenn einem nicht-/staatlichen Akteur in seinem Herkunftsland ernsthafte Gefahr droht. Außerdem kann es sich auch um ein Abschiebungsverbot handeln, wenn bei einer Rückführung mit Verletzungen der Menschenrechte/Grundfreiheiten zu rechnen ist oder erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Asylberechtigte und Flüchtlinge erhalten eine Aufenthaltserlaubnis von drei Jahren. Bei subsidiärem Schutz wird nur ein Jahr gewährt, Verlängerungen sind möglich.

Karim hat seinen Asylbescheid circa vier Monate nach der Anhörung erhalten. Ihm wurde subsidiärer Schutz für ein Jahr gewährt.

Karims Kritik

Am Ende des Gesprächs gaben wir Karim noch die Möglichkeit, seine Kritik und Verbesserungsvorschläge einzubringen. Zunächst berichtete er von viel Chaos in den Büros der unterschiedlichen Ämter und der Überfüllung und anderen Problemen in den Unterkünften: “Wir konnten gehen, wohin wir wollten, aber es hat einem sinnlosen Bummeln geglichen. Ohne Ziel. Wir waren alle in einem Heim, egal wie unterschiedlich wir sind. Keine Familien. Jemand arbeitet, andere nicht. Jemand besucht einen Deutschkurs, andere nicht. Aber alle müssen zusammen wohnen. Das ist ein großes Problem.”

Außerdem berichtete er von Fehlern durch das BAMF-Personal im Umgang mit seinen Freunden und viel Bürokratie. Vor allem kulturelle Unterschiede waren allgegenwärtig: “Erstmal lächelt jeder Deutsche, weil alle Afghanen am 1.Januar Geburtstag haben, aber in unserem afghanischen Ausweis steht nunmal nur das Geburtsjahr, kein Datum. Das Datum ist einfach nicht so wichtig wie in Deutschland. Wenn ich mein Geburtsdatum gebraucht habe, habe ich in meine Unterlagen geschaut. Aber viele Afghanen haben gar keine Unterlagen, wenn sie nach Deutschland kommen.” Was Karim hier beschreibt ist nur eines von vielen Problemen im Umgang mit personenbezogenen Daten von Flüchtlingen. Unsere Aufgabe ist es nun durch weitere Gespräche und Recherche die Sammlung dieser Komplikationen zu vervollständigen, um ein vollkommenes Gesamtbild erlangen zu können.


Quellen:

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-soldat-unter-terrorverdacht-wie-franco-a-zum-fluechtling-wurde-a-1145376.html

http://www.bamf.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/20170531-017-pm-statement-cordt-innenausschuss.html?nn=1366068

https://www.bamf.de/SharedDocs/Meldungen/DE/2016/201610106-asylgeschaeftsstatistik-dezember.html

https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Broschueren/bundesamt-in-zahlen-2015.pdf?__blob=publicationFile

http://www.bamf.de/DE/Fluechtlingsschutz/AblaufAsylv/ablauf-des-asylverfahrens-node.html


Valentin Bootz

20 Jahre

Bachelor Informatik seit 2015


Sarah El Sheimy

19 Jahre

Bachelor Politikwissenschaft seit 2016