– ist eine von vielen Überschriften, die im Sommer 2017 in den Zeitungen zu lesen war (1). Doch, auf welcher Datenbasis werden solche Aussagen getroffen und wie valide sind solche Aussagen? Wie haben die Medien die ihnen zugänglichen Daten genutzt?
In Folge einer Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an das Bundesumweltministerium im Sommer 2017 wurden in Deutschland zwei Studien über den Rückgang der Insektenbiomasse in den Medien diskutiert (8).
Die erste Studie wurde bereits 2013 vom Entomologischen Verein Krefeld durchgeführt. In dieser Studie wurde die Insektenbiomasse von 1989 der aus dem Jahr 2013 gegenübergestellt und dabei ein Rückgang von bis zu 80% festgestellt. Die Insektenbiomasse wurde an zwei Standorten im Orbroicher Bruch, einem Naturschutzgebiet nahe Krefeld mittels der Malaise Fliegenfalle gemessen. Die Datengrundlage besteht aus je 24 Messungen pro Standort und Jahr (2).
Die zweite Studie wurde am 18. Oktober 2017 in der Online Zeitschrift PLOS ONE der Public Library of Science veröffentlicht. Hier wird von einem Rückgang der Insektenbiomasse von 75% gesprochen. Als Datengrundlage wurden wieder die Messungen des Entomologischen Vereins Krefelds herangezogen, diesmal jedoch mit einer deutlich größeren Stichprobe. Hierbei wurden mit der gleichen Messmethodik wie in der Studie von 2013 in mehreren Naturschutzgebieten in Deutschland Fallen aufgestellt und über die Jahre 1989 bis 2016 die Messergebnisse verglichen. Auch wurde dank Aufzeichnungen von Wetterstationen ein potenzieller Rückgang durch Klimaveränderungen berücksichtigt (3).
Die in beiden Studien verwendete Messmethode ist die Malaise Fliegenfalle vom Typ Henry Townes aus dem Jahr 1972. Sie ist eine gängige Insektenfalle, um ein relativ breites Spektrum an flugaktiven Insekten zu fangen. Hierbei werden Netze mit einem spitz zulaufenden Dach gespannt, in die Insekten hineinfliegen. Der verwendete Stoff ist Marquisette (bestehend aus 100% Polyester) mit einer Maschenweite von ca. 0.8 mm. Wie im Originalbauplan von Henry Townes ist der untere Teil der Falle schwarz, der Obere, sowie das Dach jedoch weiß gefärbt. Da Insekten Richtung Sonne fliegen, fliegen sie folglich in Richtung des hellen Bereiches hin und werden so zum eigentlichen Fangkopf geleitet. In dieser Studie wurden die Halterungen am Fangkopf abweichend von Originalbauplan aus Edelstahl gefertigt. Diese umschließen eine Polyethylenflasche und weisen an der freien Öffnung am Fangkopf einen Durchmesser von 5 cm auf. In besagter Polyethylenflasche werden die gefangenen Insekten in 70-80 %igem Alkohol konserviert. Die Ausrichtung der Falle wurde nach Süden orientiert, damit positiv phototaktisch reagierende Insekten optimale Bedingungen haben um gefangen zu werden (2).
Malaise Falle. Quelle: http://www.rp-online.de/nrw/staedte/krefeld/krefelder-studie-sorgt-international-fuer-furore-aid-1.5799811
Nachteil dieser Messmethode ist, dass mit dieser Falle ausschließlich fliegende Insekten mit einer geringen Flughöhe von bis zu einem Meter gefangen werden. Eine generelle Aussage über die gesamte Insektenbiomasse kann somit nicht von dieser Falle abgeleitet werden.
Weitere Kritikpunkte an beiden Studien formuliert der dortmunder Statistikprofessor Walter Krämer. Er kürt sie in Zusammenarbeit mit dem RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung e.V. zur „Unstatistik des Monats August 2017“ und „Unstatistik des Monats Oktober 2017“. Generell könne von der Malaise-Falle nicht auf die Population aller Insektenarten geschlossen werden. Über einen Rückgang der gesamten Insektenbiomasse könne somit keine Auskunft getroffen werden. Er bemängelt an der ersten Studie den Vergleich von lediglich zwei Messjahren und die fehlenden Messungen dazwischen. Auch kritisiert er die geringe Anzahl an Standorten, so dass keine Generalisierung auf ganz Deutschland vorgenommen werden könne, was die Autoren der Studie auch selbst bestätigen (4)(9).
Die Stichprobe wurde zwar größer, es blieben jedoch Kritikpunkte. Die Messungen fand zwar an mehr Standorten statt, jedoch wechselten diese häufig, so dass es an den meisten Standorten zu keiner Wiederholungsmessung kam. Auch kritisiert Walter Krämer die Wahl der Anfangs- und der Endzeitpunkte. Wird das Jahr 1991 als Startmessung betrachtet und nicht das Jahr 1989, so wird ein Rückgang von ca. 30% festgestellt, nicht 75% (5).
Es gilt somit, die Statistiken kritisch zu hinterfragen. Der Rückgang an Insektenbiomasse in Höhe von 75% ist unsicher, ein Trend kann jedoch auch laut Walter Krämer nicht verleugnet werden.
Am 15. Juli 2017 veröffentlichten einige Leitmedien – darunter die FAZ, Der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung – Artikel über das Insektensterben in Deutschland. Grund für das plötzliche Interesse an diesem Thema war eine Aussage der Bundesumweltministerin Barbara Hendricks auf Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Hierbei sprach sie von einem Rückgang der Insekten in Deutschland von bis zu 80%. Dass die Zahl den Grünen nicht unbekannt war, belegt ein Pressestatement vom Januar 2017, in dem auf einen Rückgang der Insekten in NRW von bis zu 80% hinwiesen wird. Es kann ein politisch motiviertes Interesse vermutet werden dieses Thema in Wahlkampfzeiten zu platzieren. So findet sich auch im Wahlprogramm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Satz, der auf eben jenes Insektensterben hinweist. In den großen Printmedien wie FAZ und Der Spiegel wurde jedoch nicht auf die Studie an sich eingegangen, sondern die politischen Aussagen wiedergegeben (8).
Die kritische Auseinandersetzung mit der Datengrundlage erfolgte durch kleinere Printmedien und Onlinemedien. Beispielsweise wies am 20. Juli die Osnabrücker Zeitung auf eine dünne Datengrundlage hin (10).
Die in PLOS ONE veröffentlichte Studie fand sogar noch mehr Anklang in den bereits sensibilisierten Medien. Die Studie wurde am 18. Oktober in PLOS ONE veröffentlicht und noch am selben Tag war in fast allen Leitmedien ein Artikel zu sehen, in dem auf die Studie eingegangen wurde. Diesmal wurde auch die Methodik der Studie kurz erläutert und Begründungen für deren Richtigkeit angeführt. Auch NABU (Naturschutzbund Deutschland) ging auf die Studie ein und erklärte die Herangehensweise, um die Aussagekraft der Studie zu unterstreichen. Auch wird über mögliche Ursachen gesprochen, wobei Dank Wetterdaten und Biotopzustandsdaten alles auf ein Eingreifen des Menschen hindeutet. Potenzielle Verursacher sind Pestizide und die Landwirtschaft (6).
Medien wie topagrar.com weisen auf mögliche Kritikpunkte hin und sprechen von einem Rückgang von „nur“ 22%, was topagrar.com jedoch später widerrufen musste. Auch kann topagrar.com eine gewisse Nähe zur Landwirtschaft nachgesagt werden, wodurch vermutet werden kann, dass sie das Thema verharmlosen möchten (7).
Es wurde sowohl in den Print-, Online- und Fernsehmedien über das Thema berichtet und diskutiert. Die mediale Präsenz wurde durch BÜNDINS 90/Die Grünen eingeleitet, vermutlich als strategische Platzierung im Wahlkampf vor der Bundestagswahl. Die Studie von Hellmann, C. et al. in PLOS ONE kann als aussagekräftig angesehen werden, da trotz aller Kritikpunkte die Studie einen Abwärtstrend valide begründen kann. Kritikpunkte der Studien wurden teilweise angesprochen, primär von Walter Krämer. Wie genau die Studien letztendlich aufgebaut waren, ob die Daten 100-prozentig stichhaltig sind und ob die Studien Fehler aufweisen, ist in der deutschlandweiten Debatte nicht die vorherrschende Frage. Es herrscht Konsens, dass es einen Rückgang der Insektenbiomasse gibt, die Stärke dieses Rückgangs wird je nach politischem und wirtschaftlichen Interesse unterschiedlich dargestellt. Die primäre Fragestellung der Medien ist somit nicht, ob es einen Rückgang gibt, sondern wer ihn verursacht hat, welche Auswirkungen das auf unser Ökosystem haben wird und welche Maßnahme die Politik treffen kann, um diesen Rückgang zu stoppen oder umzukehren.
Quellen:
1. Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Schleichende Katastrophe: Bis zu 80 Prozent weniger Insekten in Deutschland“ unter http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/schleichende-katastrophe-bis-zu-80-prozent-weniger-insekten-in-deutschland-15107377.html (abgerufen am 15.12.2017)
2. Sorg, M.: „Ermittlung der Biomassen flugaktiver Insekten im Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch mit Malaise Fallen in den Jahren 1989 und 2013“ unter http://80.153.81.79/~publ/mitt-evk-2013-1.pdf (abgerufen am 15.12.2017)
3. Hallmann C.: „More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas“ unter http://journals.plos.org/plosone/article/file?id=10.1371/journal.pone.0185809&type=printable (abgerufen am 15.12.2017)
4. Schäfer, J.: „80 Prozent der Insekten sind verschwunden“ unter http://www.rwi-essen.de/unstatistik/70/ (abgerufen am 15.12.2017)
5. Schäfer, J.: „Insektensterben die zweite“ unter http://www.rwi-essen.de/unstatistik/72/ (abgerufen am 15.12.2017)
6. Schade, T.: „Zahlen, die zählen: Das Insektensterben ist real“ unter https://blogs.nabu.de/naturschaetze-retten/insektensterben/ (abgerufen am 15.12.2017)
7. Brüggemann, C.: „Insektensterben: Nur 22 % Rückgang, lückenhafte Daten, keine eindeutigen Ursachen!“ unter https://www.topagrar.com/news/Home-top-News-Insektensterben-Nur-22-Rueckgang-lueckenhafte-Daten-keine-eindeutigen-Ursachen-8784645.html?page=all (abgerufen am 15.12.2017)
8. Mansfeld, H.: „Angeblicher Insektenschwund: Wie die Medien in die grün-rote Wahlkampffalle tappten“ unter http://meedia.de/2017/07/18/angeblicher-insektenschwund-wie-die-medien-in-die-gruen-rote-wahlkampffalle-tappten/ (abgerufen am 15.12.2017)
9. Lingenhöl, D.: „Insektensterben - und keiner will es gewesen sein“ unter http://www.spektrum.de/kolumne/insektensterben-und-keiner-will-es-gewesen-sein/1484979 (abgerufen am 15.12.2017)
10. Giewald, J.: „Sterben die Insekten in Deutschland aus?“ unter https://www.noz.de/deutschland-welt/gut-zu-wissen/artikel/925877/sterben-die-insekten-in-deutschland-aus-1 (abgerufen am 15.12.2017)