Die Anwendung künstlicher Tracer für tiefe Georeservoire (Abb. 1, 3MB) unterliegt den gleichen physikalischen Grundsätzen wie ihre (der Fachöffentlichkeit allgemein vertrautere) Anwendung im Grundwasser. Charakteristische Größenkontraste limitieren jedoch stark die Übertragbarkeit der für Grundwasser bewährten Feldtechniken, Signalerfassung und -auswerteverfahren auf den tieferen Georeservoirbereich, und zwar in mehrfacher Hinsicht:
► Größe (i. S. von Hohlraum- bzw. Fluidvolumen) der zu-markierenden Geosysteme: bedingt für die tiefen Georeservoire den Bedarf an erheblich größeren Tracerstoffmengen und Fluidbeprobung über viel längere Zeiträume, mit dem entsprechenden Mehraufwand im Feld, wie die Abb. 2 (300KB) für zwei geothermale Beispielpvovinzen (Oberrheingraben und Norddt. Becken) illustriert; damit zusammenhängend auch die ...
► … um Größenordnungen stärkere Verdünnung des Tracers in den gewonnenen Fluidproben → Bedarf für Anreicherungsverfahren, Festphasenextraktion u. Dgl., was wiederum die Entwicklung geeigneter on-site-Anreicherungsverfahren motiviert (Behrens/Ghergut 2014), um die Notwendigkeit des Befüllens und Transportes sehr voluminöser Proben zu umgehen (bislang ist noch keine belastbare on-site-Anreicherungstechnologie verfügbar!, Kennwort: 'PASSIFIC' (pre-analytical passive in-situ enrichment followed by selective extraction))
► … seltenere Verfügbarkeit ‘vollständiger’ Tracersignale (Ghergut et al. 2015), und damit weiters zusammenhängend auch die ‘verunmöglichte’ Anwendbarkeit der klassischen (Rose et al. 2004, Shook 2005), peakdurchgangsbasierten Auswertetechniken, was wiederum zu einem modelltechnischen ‘Festbeißen’ auf irreführende, sogenannte ‘Erstankunftszeiten’ verleitet (Blumenthal 2007, Sanjuan et al. 2016)
► … wesentlich stärker störenden Einflüsse der Fluidprobenmatrix bei der Traceranalytik: dies bedingt die Notwendigkeit einer aufwändigen laborinstrumentellen Fluidprobenanalytik (Kennwort: 'PASSIFIC'), da eine Tracersignalerfassung in-situ oder on-site praktisch unmöglich ist, wie zuletzt auch von Sanjuan et al. (2016) für die Uranindetektion bei Rittershoffen im Oberrheingraben eindrucksvoll demonstriert;
► Art und Mehrskaligkeit der Reservoirheterogenität: bedingt die begrenzte Gültigkeit des bei Grundwasseranwendungen beliebten “Advektions-Dispersionsmodells” für der Auswertung von Tracersignalen, was mitunter zu ‘kunstvollen’ Modellkonstruktionen (z. B. “geschichtetes poröses Aquiferäquivalent” eines in Wirklichkeit geklüfteten und von mehreren Störungszonen geprägten Kristallinreservoirs, Radilla et al. 2010) verleitet, um das AD-Modell, dessen Benutzerfreundlichkeit zuliebe, ‘um jeden Preis’ zu retten;
► knappe Anzahl von Fluidmarkierungsmitteln mit gesichert-konservativem physikochemischem Verhalten unter den in-situ Bedingungen tiefer Georeservoire; viele der im Grundwasserbereich gut-bewährten Tracerstoffe scheiden wegen solch physikochemischer Instabilität für den Einsatz in tiefen Georeservoiren aus;
dafür sieht sich der künstliche Tracereinsatz in tiefen Georeservoiren i. d. R. mit weniger Auflagen konfrontiert hinsichtlich Umwelt- und Gewässerschutz, Human- und Ökotoxizität der verwendeten Markierungsmittel; d. h., für Tiefenreservoiranwendungen kann theoretisch auf eine weit breitere Palette an-/organischer Stoffe, auch Radionuklide mit längeren Halbwertszeiten zurückgegriffen werden, ohne für diese Spezies noch langwierige (und kostspielige) human-/ökotoxikologische Studien vornehmen zu müssen. Hier besteht allerdings noch erheblicher Forschungsbedarf hinsichtlich des physikochemischen Verhaltens der (anionischen, kationischen) Tracerspezies unter den in-situ Bedingungen der Reservoirtargetbereiche (BMU-Vorhaben REAKTHERM und SmartTracers, cf. Tab. 1).
Abb. 1 (JPG, 3 MB) : Zielparameter von Tracertests (künstlichen Fluidmarkierungen)
Abb. 2 (JPG, 0.3 MB) : Veranschaulichung des Feldaufwands bei Tracereinsätzen im
Norddt. Becken (in Kooperation mit GFZ Potsdam) und im Oberrheingraben (mit BESTEC)
Die Göttinger Gruppe hat im Rahmen von BMU- und BMWi-geförderten Vorhaben (SmartTracers, LOGRO, TRENDS, cf. Tab. 1) künstliche Fluidmarkierungen zur Charakterisierung der Fließwege und der wärmetransportrelevanten Reservoirparameter in 3 bis 5 Kilometer tiefen Kristallin- und Sedimentärformationen in Deutschland vorgenommen (Abb. 3), darunter an den Bohrungen Horstberg-Z1 und Gr.Schönebeck-4 im Norddt. Becken, sowie an den Standorten Landau, Insheim und Bruchsal im Oberrheingraben (Abb. 2), und beteiligt(e) sich beratend an Design, Dimensionierung, Auswertung und Interpretation verschiedentlich-gearteter Tracertests (inter-well und single-well) weltweit. Die Ergebnisse sind in Berichten (URL cf. Tab. 1) und sonstigen Veröffentlichungen dokumentiert (derzeit ca. drei Dutzend Beiträge Göttinger Autoren in der IGA geothermal paper database, allesamt open-access).
Abb. 3 (JPG, 0.5 MB) : Seit 2002 beschäftigt sich unsere Göttinger Gruppe von Hydrogeologen, Geochemikern und Physikern mit der
Konzeption, Entwicklung und Anwendung tracerbasierter oder tracergestützter Verfahren zur Charakterisierung tiefer Geo(thermal)reservoire
in ihren unterschiedlichen operativen Phasen, von Erschließung, über ggf. Ertüchtigung, Stimulation, bis hin zum langjährigen Betrieb.
Zu den für hiesiges Vorhaben relevanten Ergebnissen zählt die quantitative Befundung einer Fluidtransportverbindung mit Verweilzeiten in der Größenordnung von Wochen, Jahren bzw. Jahrzehnten zwischen Reinjektions- und Förderstelle für die bei Horstberg im Norddt. Becken sowie für 3 weitere Standorte in Süddeutschland erschlossenen Reservoire (URG07, URG09, URG10). Generell lässt sich sagen, dass Geothermalsysteme mit ausgeprägter Kristallinbeteiligung (wie bei URG07 und URG09) am Strömungs- und Transportgeschehen (mit dessen bemerkenswertem seismologischem Korrelat) tendenziell kürzere Fluidverweilzeiten aufweisen, als Sedimentärreservoire großer Mächtigkeit (wie URG10, cf. Kölbel et al. 2010, Ghergut et al. 2012, 2015) mit ‘stillen’ Störungszonen, bei welchen das Kristallin lediglich wie eine Art ‘Reservoirbegrenzung’ fungiert.
Erkennbar ist diese Tendenz auch an veröffentlichten Tracersignalen anderer bekannten Projekte im Oberrheingraben: Soultz-sous-Forêts mit (Teil-)Tracerdurchgang innerhalb von Tagen (Sanjuan et al. 2008, Radilla et al. 2010), Rittershoffen mit signifikantem Traceranstieg binnen weniger Wochen (Sanjuan et al. 2016), ähnlich wie in diversen ‘Minireservoiren’ in den USA (Rose et al. 2004, Shook 2005).
Weiters relevant für Langzeitprojekte kann die im Rahmen des laufenden TRENDS-Vorhabens geprägte Begrifflichkeit ‘Endotracer’ werden. Damit bezeichnen wir Fluidinhaltsstoffe oder sonstige eindeutig detektierbare physikochemische Merkmale, deren Eintrag ins Reservoir in etwa dem eines künstlichen Tracers mit räumlich-zeitlich eng begrenzter Zugabe entspricht, deren langfristige räumliche Verteilung im System hingegen mehr derjenigen eines natürlichen Tracers mit diffusem Eintrag ähnelt (Behrens/Ghergut 2014, Ghergut et al. 2014, 2018, 2019).