Kim Feser

Halbauto­matische Prozesse und »Gebilde, die aus sich heraus wuchern«. Pauline Oliveros’ elektronische Musik und musikästhetische Problemstellungen bei Adorno

Mit den Entwicklungen der elektronischen Musik in den 1960er Jahren hat Adorno sich nur sehr selektiv und vermittelt auseinandergesetzt, etwa über Karlheinz Stockhausen. Weite Teile insbesondere der US-amerikanischen Aktivitäten im Grenzbereich von elektronischer Avantgarde und experimentellem Underground hat er nicht zur Kenntnis genommen. Dazu gehören auch die Stücke von Pauline Oliveros, die sie in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in verschiedenen Studios produziert hat. Sie stellte klangerzeugende Oszillatoren und Tonbandgeräte, mit denen sie Echo-Effekte erzeugte, auf je spezifische Weise zusammen, um dann ihr manuelles Spiel mit diesen generativen Geräte-Ensembles auf Band aufzunehmen. Ihre Arbeitsweise liegt somit quer zu den Kategorien Komposition und Improvisation: Die musikalischen Prozesse entstehen in der intensiven Auseinandersetzung mit den klanglichen und rhythmischen Möglichkeiten der von ihr konfigurierten instrumentalen Maschinen. Seit Ende der 1990er Jahre wurden viele von Oliveros’ Stücken auf CD (wieder-)veröffentlicht und unter anderem als ‚historische Meilensteine‘ von Elektronika zunehmend rezipiert. In diesen Diskursen wird auf Adorno selten Bezug genommen. Dabei korrespondieren seine programmatischen Überlegungen aus den 1960er Jahren zum Umgang mit musikalischem Material, zu musikalischer Formgebung ‚von unten‘ sowie zum Verhältnis von dynamischer und dissoziativer Zeitgestaltung in einigen Aspekten mit den von Oliveros bearbeiteten musikalischen Problemstellungen. Sowohl bei Oliveros als auch bei Adorno geht es um den Umgang mit musikalischen Differenzen. Die ästhetische Perspektive ist bei Beiden, wenn auch oftmals nur implizit, mit gesellschaftspolitischen Positionierungen verbunden.

S0, 23.06., 10:15–11:00

Vierte Welt