Klassische Veredelung im Frühjahr
Edelreiser, immer dem oberen Kronenteil oder dem südlichen Teil der Krone entnehmen, nie Wasserreiser oder Triebe mit Blütenknospen schneiden. Das Edelreis sollte etwa bleistiftdick sein und gut ausgebildete, engstehende Augen haben. Reiser mit Blütenknospen sind eher ungeeignet, weil sie erst später Holztriebe ausbilden. Sie dürfen nicht befallen oder krank sein. Für die Veredelung wird immer der mittlere Teil genommen mit etwa 3 - 4 Augen. Von älteren Bäumen kann man gut ausgebildete Edelreiser oft nur dann bekommen, wenn man ein Jahr vorher einen Ast kräftig verjüngt und damit einen neuen Durchtrieb veranlasst. Werden Edelreiser im Winter geschnitten, dürfen die Temperaturen nicht unter - 4° sein. Der beste Monat ist der Januar. Nach einer längeren Frostperiode etwas abwarten. Nach dem Schnitt beschriften und einzeln in feuchten Sand, 10 - 15 cm hoch, einschlagen und in einen luftfeuchten Keller stellen oder schattig im Garten einschlagen. Die Wund- und Schnittflächen nie mit den Händen berühren.
Die Veredelungsstelle immer von oben nach unten mit Bast o.ä. verbinden, so dass das Reis oder Auge an die Unterlage gedrückt wird, selbstverständlich aber auch nicht zu fest. Immer beim Veredeln führt man das Messer zum Körper hin, nicht von ihm weg. Alle Schnitt- und Wundflächen, auch am Kopf des Edelreises, müssen anschließend mit Wundwachs verstrichen werden, das unterste Auge des Edelreises (gegenüber der oder den Schnittflächen) bleibt beim Verbinden und Verstreichen frei, sonst kann es nicht austreiben. Nur bei luftdichtem Abschluss durch das Wundwachs und präzisem Schnitt, mit dicht anliegenden Kambiumschichten (das ist die grüne Schicht unter der äußeren Rinde) von Unterlage und Reis kann die Veredelung gelingen.
Das Bindematerial muss nach einigen Wochen mit einem senkrechten Schnitt aufgeschnitten werden, sobald es die Kallusbildung behindert (einschnürt). Es bleibt aber am Baum, bis es von selbst abfällt. Eine Veredlung ist erst dann als gelungen zu betrachten, wenn sich aus den Knospen kleine Triebe entwickeln. Im Sommer werden die Zweige, die unterhalb der Veredelungsstelle aus schlafenden Augen der Unterlage gewachsen sind, freigestellt (= abgeschnitten). Der ziehende Schnitt für Veredelungen wird dadurch erreicht, dass die linke Hand das Edelreis etwa in Bauchhöhe hält und die rechte Hand in gleicher Höhe das Messer fast parallel zum Edelreis hält. Das Messer wird mit der Kraft des rechten Oberarms gegen das Edelreis gedrückt und gleichzeitig durch das Reis gezogen. Durch die Art des Ansatzes erhält man einen glatten, nicht welligen Schnitt, da die gesamte Klingenlänge als Führung benutzt wird. - Schnelles Arbeiten ist für den Erfolg entscheidend. Das gilt besonders für Steinobst- und Sommerveredelungen. Als Prinzip gilt: Schwach wachsende Edelreiser nur auf starktriebige Unterlagen veredeln, stark wachsende Edelreiser können auf stark wachsende oder schwach wachsende Unterlagen veredelt werden. Nur gesunde, jüngere Bäume umveredeln.
Die klassische Geißfußveredelung
Diese Methode wird angewandt, wenn die Unterlage dicker ist als das Edelreis. Ist sie kräftiger als ein Finger, ist eine Kopulation nicht mehr möglich. Der beste Zeitpunkt ist an einem frostfreien, trüben Tag zwischen 2 - 4 oder 8 für Ahorn, Apfel- und Birnbäume, Kirschen, Robinien, Ulmen und andere Gehölze. Im allgemeinen gilt für Steinobst E 2 - A 3, für Kernobst E 3 - A 4. Die Unterlage kann 2 - 10 cm dick sein. Baum oder Zweig in der gewünschten Höhe abschneiden und die Schnittstelle (Propfkopf) mit dem Messer (Hippe) glätten, damit die Wunde schneller heilt. Nebenäste entfernen, nur einige schwächere Zweige bleiben als Zugäste, damit der Baum nicht im Saft erstickt. Jetzt wird die Messerschneide in ganzer Länge etwas schräg auf den Stamm angelegt, in das Holz gedrückt und die Klinge nach oben gezogen. Das ganze wird wiederholt, aber mit leicht versetzter Klinge, so dass am Ende der Unterlage ein Keil, ca. 3 - 4 cm lang, mit der Spitze nach unten entsteht. Der Keil fällt heraus, ggf. muss etwas nachgeschnitten werden. Er ist unten an der spitzen Stelle am dünnsten, oben am dicksten. Das Edelreis mit 3 Knospen bei bodennaher Veredlung, mit 4 - 6 Augen bei Kronenveredlung, muss genau in die Kerbe der Unterlage passen, d.h. die Schnittstellen von Reis und Unterlage (die dunklen Kambiumschichten zwischen Rinde und Holz) müssen genau aneinanderliegen. Bei dicker Rinde der Unterlage heißt das, dass das Edelreis nicht bündig mit der Rinde der Unterlage abschließt, sondern etwas vertieft in die Kerbe der Unterlage eingelassen wird.
Das einjährige Edelreis = Geißfuß, wird vor der Veredelung einige Tage in einem kühlen Keller in Sand oder an geschützter Stelle in Erde eingeschlagen, da frische Reiser oft schlechter anwachsen. Über einer Knospe (diese muss später unter der Schnittfläche des Pfropfkopfes sitzen) das Edelreis schräg anschneiden mit einem langen, ziehenden Schnitt wie bei der Kopulation. Dann dreht man das Edelreis und bringt wieder einen schrägen, ziehenden Schnitt an, so dass die Winkel und Länge übereinstimmen mit denen der Unterlage. Die Schnittstelle des Edelreises sollte etwa 2 - 3 mm länger sein als der Keil der Unterlage, damit Edelreis und Pfropfkopf besser verheilen können. Dort bilden sich junge Zellschichten, die für das Anwachsen von großer Bedeutung sind. Sitzt das Edelreis zu tief unterhalb des Pfropfkopfes, kann es noch Jahre nach der Veredelung, von dieser Stelle ausgehend, zu krebsartigen Wucherungen oder anderen Holzerkrankungen kommen, die zum Verlust der Veredelung führen können. Die Anwachschancen werden erhöht, wenn gleich zwei oder drei Edelreiser eingesetzt werden. Anschließend mit Bast umwickeln und mit Baumwachs verstreichen. Zusätzlich können die Edelreiser gegen Beschädigung durch Vögel geschützt werden, indem man einen längeren, elastischen Trieb (z.B. Haselnuss) bogenförmig über den Enden der Edelreiser anbringt und beidseitig an der Unterlage mit Bast befestigt. - Soll nur ein Edelreis an einem Ast aufgespropft werden, sollte man die Unterseite des Astes dafür wählen. Die schwächsten Triebe werden später weggeschnitten, ebenso die Zugäste.
Die beiden Schnitte rechts sind richtig!
Kopulation (Direktveredelung) im Frühling
Sie wird angewandt, wenn Unterlage und Edelreis gleich dick sind, aber nicht dicker als ein Finger. Die Kopulation wird vornehmlich im Spätwinter durchgeführt, die Reiser befinden sich in der Wachstumsruhe. Beide erhalten mit einem ziehenden schrägen Schnitt eine Schnittfläche von 3 - 4 cm Länge, so dass Rinde auf Rinde passt. Die Schnittfläche sollte mindestens so lang sein wie das Dreifache des Durchmessers der Reiser. Beide müssen gegenüber der Schnittfläche ein Auge haben. Die Edelreiser müssen unmittelbar davor beschafft werden. Sie sollten diesjährig sein. Nur die Blattstiele des Edelreises werden belassen. Wenn sie nach einigen Wochen vertrocknen und abfallen, ist die Veredelung geglückt. Dann wird der Verband durchgeschnitten, aber nicht entfernt. Zeitpunkt ab 2/3 bis 4, spätestens 5. Nach der geglückten Kopulation und nach dem Zusammenwachsen sollten etwaige Seitentriebe und Blätter der Unterlage in Nähe der Schnittflächen abgeschnitten werden.
Eine Unterart ist die Kopulation mit Gegenzungen, die bei besonders schwachen Ästen angebracht ist. Zunächst zwei Kopulationsschnitte wie vor beschrieben, dann schneidet man bei Edelreis und Unterlage die Schnittfläche etwa in der Mitte in Richtung Längsachse etwa 1 cm tief, aber schräg ein, so dass zwei gegeneinander versetzte Zacken entstehen und schiebt beide ineinander. - Im übrigen siehe unter Geißfußpfropfen.
Okulation im Sommer
Durch die Okulation wird die Knospe (= Auge) eines Edelreises auf eine andere Unterlage übertragen, deren Eigenschaften weniger erwünscht sind. Die Knospe verwächst mit ihrer neuen Umgebung. Sie bildet nach einiger Zeit einen Trieb aus, der die Eigenschaften des Edelreises aufweist, während die Unterlage über dem Auge weggeschnitten wird. Die Unterlage wird im Herbst auf etwa 20 - 25 cm Höhe zurückgeschnitten, bei einigen Ziergehölzen und Hochstämmchen belässt man den Stamm der Unterlage in der gewünschten Höhe und bildet dann das Edelreis darüber zur Krone aus. Bei Trockenheit wird einige Tage vor der Okulation gewässert, damit sich die Rinde der Unterlage besser ablösen lässt.
Okulation auf das schlafende Auge:
Die beste Zeit ist im allgemeinen der Sommer, Juli - August, spätestens Anfang September. Die Rinde der Unterlage muss sich lösen lassen, die Edeltriebe müssen ausgereift, aber noch nicht verholzt sein. Am geeignetsten ist ein diesjähriger, frisch geschnittener Langtrieb aus dem Kronenbereich mit gut ausgebildeten Knospen, aber kein Wasserschoss. Das Reis kurz vor Gebrauch schneiden und sofort mit der Okulation beginnen. Sämtliche Blätter werden abgeschnitten, der Blattstiel verbleibt. Die Unterlage sollte mindestens bleistiftdick sein.
Juli: Birnen, Pflaumen, Pfirsich, Quitten.
Juli/ August: Äpfel, Rosen.
August: Kirschen.
Nebentriebe der Unterlage abschneiden und mit einem Tuch den Stamm reinigen. Einen glatten Rindenteil heraussuchen und dort die Rinde an der Unterlage etwa 10 cm über der Erde T- förmig einschneiden, mit dem Messerrücken die Rinde lösen und beide Teile auseinanderklappen wie offen stehende Türen. Ein gut ausgereiftes Auge aus dem Mittelbereich des Reises vom Edeltrieb abschneiden, Schnittführung von der Basis zur Triebspitze, ca. 3 cm lang; möglichst nur durch die Rinde schneiden, ein kleiner Holzspan verhindert aber nicht den Erfolg. Einen dickeren sollte man vorsichtig mit dem Messer lösen, nicht das kleine Knöpfchen darunter beschädigen. Das Auge an dem Blattstumpf festhalten und mit dem Messerrücken unter die geöffneten Rindenlappen schieben, oben das überstehende Rindenteil des Edelauges bündig mit dem T-Balken abschneiden, mit Bast von unten nach oben verbinden, so dass die Rindenlappen die beiderseitigen Schnittflächen des Edelauges abdecken. Ggf. den gesamten Schnittbereich. mit Wundwachs verstreichen, aber das Auge freilassen. Schnittflächen nicht mit der Hand berühren. An einem trüben Tag veredeln, damit das Auge nicht vorzeitig verwelkt.
Nach etwa zwei bis drei Wochen muss der Blattstielstumpf abgefallen sein. Dann den Bastverband lösen mit einem Schnitt von unten nach oben auf der dem Auge gegenüberliegenden Seite. Wenn der Stumpf nicht abgefallen ist, ist die Veredelung misslungen und muss wiederholt werden. Bei Obst- und Ziergehölzen sollten jeweils zwei Augen eingesetzt werden, um die Chancen des Anwachsens zu verbessern. Im nächsten Jahr wird dann ggf. einer dieser Neutriebe weggeschnitten. Sobald das Auge ausgetrieben hat und und einen starken Zweig gebildet hat, wird die Unterlage direkt über diesem Triebansatz abgeschnitten (abgeworfen) und mit Wundwachs versiegelt. Vögel lassen sich gern darauf nieder, es muss diese Belastung aushalten. Unter Umständen kann man den Neutrieb auch dadurch schützen, dass man einen Zweig bogenförmig nach oben biegt und seine beiden Enden an der Unterlage mit Bast befestigt. - Neutriebe aus der Unterlage werden sofort entfernt.
Okulation auf das treibende Auge:
Wie oben, die beste Zeit ist Juni, spätestens Mitte Juli. Diese Methode wird vor allem für Ziergehölze angewandt. Ist die Veredelung gelungen, treibt das Auge noch im gleichen Jahr aus.