2007 Astrid Volpert - Konstruktive Transparenz der Baumlinien
Text zur Ausstellung "Unbunte Ansichten" in der Berliner Stadtbibliothek
Der
Streit zwischen Malerei und Fotografie um den Kunstwert ihrer Produkte
wirke heute abwegig und verworren, schrieb Walter Benjamin in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts: „Die Aufgaben, welche in geschichtlichen
Wendezeiten dem menschlichen Wahrnehmungsapparat gestellt werden, sind
auf dem Wege der bloßen Optik, also der Kontemplation, gar nicht zu
lösen. Sie werden allmählich nach Anleitung der taktilen Rezeption,
durch Gewöhnung, bewältigt.“
Ich erinnere mich noch gut: In den
Siebzigern des vorigen Jahrhunderts waren wir, die kleine Schar
ostdeutscher in Theorie und Ästhetik uns übender Kulturstudenten, fast
alle bekennende Benjaminianer. Aber erst Anfang der Neunziger erprobten
wir unseren ersten PC. Während er für mich „nur“ technisches Hilfsmittel
war, traute ihm mein Freund Bogomil mehr zu. Die Kategorie Neue Medien
gab es noch nicht, offiziell. Er legte eine Kinderzeichnung auf, druckte
sie so perfekt, daß sie bei einem
Wettbewerb
problemlos als kunstwertes Original in die Ausstellung gelangte, ohne
dass ihre digitale Herkunft erkannt wurde. Als er später im Bildrahmen
gespannte Damenstrümpfe, von seiner Frau Gabriela netzartig verwoben, im
Wachsdruck präsentierte, ahnte ich, daß dies nicht das Ende technischer
Kunstexperimente der beiden Helms war.
Sie ist seit
fünfundzwanzig Jahren Textildesignerin, er arbeitet fast genau so lange
als Fotografiker. Beide sind Freiberufler. Grundlagen und Zusammenhänge
dessen, was sie selbst künstlerisch produzieren, geben sie auch an
andere, vor allem junge Leute, weiter. Die Bezeichnung Lehrer oder
Pädagoge will einem dabei nicht in den Sinn kommen, obwohl sie mit
diesem Paar dem Berufsstand zu aller Ehre gereichte – zu ideenreich, auf
jeden neuen Kurs und dessen Teilnehmer individuell abgestimmt ist das
von ihnen entwickelte, erprobte Trainingsprogramm. Im
partnerschaftlichen Dialog zielt es auf künstlerische Aktivierung und
Schärfung der im grell-bunten Alltag oft einseitig beanspruchten
Sehnerven.
Erste
gemeinsame Ausstellungen haben Gabriela und Bogomil Helm vor elf Jahren
in Berlin und Brandenburg gemacht. Die Schnittstellen ihrer
unterschiedlichen Schaffenswelten bauten sie seither aus, verfeinerten
Darstellungs- und Aussagekraft im eng miteinander verwobenen Tun. Unter
Berücksichtigung ihrer sonstigen sich selbst auferlegten Pflichten fragt
man sich, wie sie es immer wieder schaffen, die dafür notwendige Zeit
herbeizuzaubern. Die Lösungsformel ist kein Dogma, sie liegt wie in
allen anderen Dingen im kollektiven wie im prozessualen Verständnis
ihres kreativen Handelns. Beide lassen keine Trennung zu zwischen dem,
was ihnen mit dem Brotverdienst die Lebensgrundlage sichert, und dem,
was sie durch eigene künstlerischen Botschaften fern
marktwirtschaftlicher Verwertungsstrategien verwirklichen. Kandinsky
drückte es 1913 in dem Satz aus: „Werkschöpfung ist Weltschöpfung“.
Dynamische
Konstruktionen von Horizontalen und Vertikalen auch in ihren neuesten
Bildern verraten: Beide kennen und lieben die Klassische Moderne, sie
pflegen ein inniges Verhältnis zu deren Strukturen, Materialien,
Techniken. Zunächst arbeitete man jedoch solo. Gabriela begeisterte sich
schon bei ihren textilen Bildern der 80er Jahre

an
klaren Geometrien und rot-schwarzen Farbkontrasten, so das Wechselspiel
von Bewegung und Stille in Zeit und Raum nachempfindend.
Inhaltsgestaltung als ein allein ästhetisches Programm jedoch lehnen sie
beide entschieden ab. Das Prinzip Collage und Fotomontage interessierte
Bogomil nie um derer selbst willen; Antriebsmittel sind ihm
gesellschaftliche Konfliktfelder. Kunst ist für die Helms ein System der
Reflexion und Selbsterfahrung. Daraus speist sich die jeweilige
Botschaft des Werkes. Im permanenten Berlin-Babe-Berlin-Spagat, dem
Ortswechsel zwischen Stadt- und Landhaus, verknüpfen sie städtische und
dörfliche urbane Umwelten, deren Vorzüge und Nachteile. Ein à priori
gegebenes Fortschrittsdenken gibt es nicht.
Diese Überzeugung
brachte sie – im Widerstehen der ebenso raffiniert wie langweilig
inszenierten Medienwelten – zur Entwicklung ihrer „unbunten ansichten“,
einer Serie von 25 abstrakten Farbbildern. Wo andere den Pinsel oder die
Feder ansetzen, arbeiten sie mit Kamera und Cursor bzw. Schere und Leim
sowie zuletzt noch einmal ersterem Zubehör, ehe das in mehrfachen
Überlagerungen entstandene digitale Bild per Mausklick über den Drucker
auf leinwändiges Material geschickt wird. Gerahmt

unterscheidet
es der Betrachter dann kaum von einem traditionell hergestellten
Gemälde. Jenes aber könnte nicht transparenter wirken, derart vielfältig
subtile, in Lineament und Farbton differierende Unterschichten als
Zeitläufe preisgeben wie das am PC erzeugte. Und nichts ist nur
dekoratives Muster oder elementare Addition. Die Betonung der
Materialität dieser Kunstwerke zeigt ihre enge Verbindung mit der
Realität durch eine Symbiose von Natur und Technik: Florale Bildzitate
werden überlagert von Papierstrukturen. Einzigartige Baumexemplare sahen
sie nicht wie gewöhnlich als Zeichen einer Skulptur, ihre rissigen,
rhythmisch angeordneten Lineamenten zogen die Blicke von der Oberfläche
ins Innere. Rindenstrukturen wurden für Bogomil zu fotografischen
Objekten, die Textildesignerin schuf im Atelier aus handgeschöpften
Papieren dreidimensionale Objekte, die – ebenfalls fotografiert, seine
Vorlagen überlagern. Das Leben der Bäume zählt man in der Regel nach
Jahrhundertschritten; ihre unverwechselbare Gestalt legt Zeugnis ab vom
einem natürlichen oder gewaltsam vollzogenen Wandel. Helms' „unbunte
ansichten“ sind ein Gleichnis für die Vielfalt und den Fluß der Formen;
eine jede besitzt Schönheit und Charakter.
Beim Anblick der
verknappten Farben- und Formensprache, der dynamischen, fächerartig
angeordneten Konstruktion sich kreuzender Horizontalen und Vertikalen
erinnert man sich auch ein wenig an Bilder El Lissitzkys, Moholy-Nagys
oder der Malewitsch-Schüler Ilja Tschaschnik und Nina Kogan. Im
Unterschied zu diesen aber erscheint hier das Verhältnis von Ratio und
Intuition nicht unterkühlt, zum Nonplusultra eines bloßen ästhetischen
Programms erhoben. Ohne auf spitze Kerben und Einschnitte zu verzichten,
verweisen gelbe, rote und weiße Lichtspuren auf unterschiedliche
Richtungs=Deutungslinien. Den Anspruch, Sehhilfen zur Orientierung im
grellen Medienalltag zu sein, lösen diese Bilder auf sparsame wie
spannend-nachdenkliche Weise ein. Sie sind weder Bebilderung oder
Illustration von Situationen oder Zuständen, noch machen sie
Vor-Schriften zu einer einzigen Lesart.
Benjamins Sorgen um den
Verfall der Aura des Kunstwerks angesichts seiner technischen
Reproduzierbarkeit scheinen die Helms nicht zu stören. Sie feiern
vielmehr deren digitale Auferstehung, indem sie dem Betrachter die Dinge
räumlich und menschlich näherbringen: „Entschälung des Gegenstandes aus
seiner Hülle, die Zertrümmerung der Aura, ist die Signatur einer
Wahrnehmung, deren ‚Sinn für das Gleichartige in der Welt' so gewachsen
ist, daß sie es mittels Reproduktion auch dem Einmaligen abgewinnt.“
Ganz im Sinne des Philosophen lassen sie „die Zusammenhänge zu ihrem
Recht kommen“.
Astrid Volpert, Oktober 2006
Abbildungen: Aus "unbunte ansichten". Fotomontagen (Gabriela & Bogomil J. Helm)
......................................."unbunte ansichten" - Fotografiken von Gabriela & Bogomil J. Helm
Ausstellung vom 13. Oktober bis 6. November 2012 in der Galerie im Kuppelbau Tharandt
Begrüßung: Prof. Dr. Andreas Roloff
Direktor des Sächsischen Landesarboretums
Forstbotanischer Garten Tharandt, TU Dresden
"wir zeigen arbeiten aus zwei projekten, die uns seit fast einem jahrzehnt umtreiben.... „dicht am grau“ und „unbunte ansichten“. die unbunten ansichten sind mit tharandt, dem forstbotanischem garten und meinen biografischen wurzeln auf wundersame weise verknüpft. es ist eine nun über 50 jahre währende faszination für einen kraftort, dessen energien wir spüren, wenn wir uns hier aufhalten..... auch
gabriela, bekennende berlinerin und aufs höchste skeptisch gegenüber allen romantisierungen, hat sich vor über dreißig jahren anstecken lassen. von bäumen und ihren strukturen im forstbotanischen garten inspiriert, entstanden über viele jahre hinweg in gemeinsamer arbeit immer wieder fotos und fotografiken zu diesem thema.
was gibt den rahmen, die modivation für dieses nicht auf gewinn und effizienz gerichtete gestalten? ... es ist die lust, mit den dingen zu sprechen, sie nach ihrem so und nicht anderssein zu befragen. es ist die hoffnung, dass sie mit uns flüstern, etwas von sich preisgeben, damit wir uns vielleicht besser begreifen, es ist die angst vor der leere, die angst vor dem tag, an dem das spannungsfeld zwischen „stehen und schweben dabei“ (st. mensching) nicht mehr zu halten ist und in sich zusammenfällt. die „unbunten ansichten“ haben wir an vielen orten in sachsen/anhalt, brandenburg und berlin gezeigt. nun sind wir mit diesen arbeiten an den ort zurückgekommen, der der ideenstifter gewesen ist.

ein schlusspunkt... wir wissen es nicht. auf jedenfall ein höhepunkt ist diese ausstellung für uns und dafür danken wir prof. andreas roloff, (er hat auch das grußwort für den katalog geschrieben), dr. pietzarka für die spannende führung durch den garten, den mitarbeiterinnen der tharandter galerie für die liebevolle betreuung und wir danken besonders meinem vater, prof. dr. gerhard helm, und unseren vielen freunden für die fortwährende unterstützung und mutmachung."
(Bogomil J. Helm)
....................................... 2006 - Text zur Ausstellung "unbunte ansichten",
Dorfkirche Ribbeck/Havelland
Dorfkirchensommer: Grafiken und Gitarren in Ribbeck
„unbunte
ansichten“ heißt die Ausstellung von Gabriela und Bogomil Helm, die
noch bis zum 5. Juni in der Dorfkirche Ribbeck im Havelland zu sehen ist
und in deren Rahmen die Brüder Julius Helm und Fridolin Zeisler am
Sonntag ein Konzert geben: Bach, Brouwer und Piazolla auf klassischen
Gitarren. So eingestimmt laden die Veranstalter – der Brandenburgische
Dorfkirchensommer – die Gäste zum Rundgang durch die Ausstellung ein.
Die
Helms sind eine Künstlerfamilie: Bogomil und Gabriela widmen sich seit
Jahren grafischen, fotografischen und textilen Techniken. Sie zeigen
ihre Werke in Ausstellungen und geben Kurse. Fridolin und Julius, die
beiden Söhne, können als Gitarrenmusiker trotz ihrer jungen Jahre auf
viele nationale und internationale Preise verweisen.
Gabriela Helms
Arbeiten eröffnen den Blick auf kosmische Landschaften, die wir in
unserem Alltag nicht wahrnehmen. Beispielsweise in der Serie „Abschied
vom Grün“, in der sie abstrakte Landschaftsvisionen mit Seide gestaltet.
„Lebensströme offenbaren sich, man meint, ins All wie gleichermaßen in
die Tiefen des Meeres zu blicken. Es sind Bildfindungen, die Ursprung
und Ende, Werden und Vergehen suggerieren“ (Arno Neumann).
Wer
dagegen die Bildersprache von Bogomil Helm ergründen will, darf die
Wortspiele und Mehrdeutigkeiten nicht übersehen, mit denen, er in seinen
Grafiken operiert. Ein schönes Beispiel ist der Ausdruck
„Kopflosigkeit“, den der Künstler in zwei seiner sehr dunkel gehaltenen
Aquatinta-Grafiken thematisiert. Kopflos ist der Unbequeme, der sich der
Norm nicht einfügen will und darum „einen Kopf kürzer“ gemacht wird
(Schattenbilder III), doch ebenso die „Unterwürfige“, die es nicht wagt,
ihren Kopf zu benutzen und ihn deshalb unterm Arm trägt (Unterwürfige
III).
Wiederkehrende Elemente in Helms Fotographien sind die
Überwachungskameras, die sowohl in den Arbeiten vor 1989 als auch in
denen nach der Wiedervereinigung Deutschlands auftauchen, etwa in den
„Dicht am Grau“ untertitelten Bildern des Bundeskanzleramts. Neben den
allgegenwärtigen Kameras reflektieren diese Fotografien treffend das
hohle Pathos einer postmodernen Repräsentationsarchitektur, das von
allen Sinn- und Symbolbezügen „gesäubert“ ist. Obwohl die Vorlieben für
Gabriela und Bogomil Helm unterschiedlich sind, gibt es auch
Schnittmengen, was in Ribbeck eindrucksvoll unter Beweis gestellt wird.
In Arbeiten wie „Erdnussbutter über Kabul“ oder in der Reihe „unbunte
Ansichten“, die der Ausstellung ihren Namen gegeben hat, dominieren
dunkle, braune und braunschwarze Farbtöne, die wie Schieferplatten oder
Gebirgsformationen über- und nebeneinander geschichtet sind. Dabei gibt
es immer eine Formation, die aus der Reihe tanzt, die hell erstrahlt,
als wäre sie von einem unsichtbaren Scheinwerfer angeleuchtet, mal in
Rot, mal in Gelb oder Orange.
Henrik Leschonski (Literaturwissenschaftler)
Abbildungen:
"deutsche schafe vor kabul". 2001, Montage
"die überwachung der überwachung muss überwacht werden". 2006, Montage
.......................................
Aus "Netzbeschmutzer - Spurensuche Freiberg" 2004
wir haben's eilig,
vergangenheit
stumpf zu schreiben,
zu übermalen
und mit ihr
die erinnerungen,
das gewissen,
die schuld.
und geweisst und getönt
lockt uns ein blendwerk
ins land der kalten seelen
nach irgendwo.
.......................................
Dr. Hilmar Frank, Text zur Ausstellung "Seh Hilfen", 2004
Ausstellung in der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung, Potsdam, 2004
"Er
tat alles, wie es die andern taten" - so lautet einer der letzten Sätze
in Büchners Lenz-Novelle. Dieser Satz ist einer der schrecklichsten der
deutschen Literatur. Er kommt einfach und selbstverständlich daher, und
er meint doch nicht weniger als die Selbstaufgabe eines Menschen, er
bezeichnet den Anfang eines Weges, der allzuoft in Gedankenlosigkeit und
Verantwortungslosigkeit endet. Wenn nicht in Schlimmerem.
Er tat
alles, wie es die andern taten. Warum? Weil er nur dachte, was die
andern dachten, nur sah, was die andern sahen. Genauer: Weil er nur
dachte and sah, was er denken und sehen sollte. Die Nötigung zu diesem
Verhalten ist groß, für jeden von uns. Ich will gar nicht von der
Arbeitslosigkeit sprechen. Es reicht, an die Sprachregelungen zu denken
oder an die gebaute Umwelt, die allzuoft nichts anderes ist als
vergegenständlichte Ökonomie, fremd den Ansprüchen der Menschen. Man
könnte auch sagen: nichts anderes als gebautes Geld. Und neben den
Sprachregelungen gibt es auch Wahrnehmungsregelungen, die uns tagtäglich
suggeriert werden - hauptsächlich durch die visuellen Medien, die
Vielfalt vortäuschen und sich doch auf wenige grobe Schemata
zuruckführen lassen, die nicht gerade geeignet sind, unseren Blick zu
schärfen, unser Denken zu provozieren und unsere Orientierung zu
erleichtern.

In
Wahrnehmungsschemata wird man unbewusst eingeübt, Sehen muss gelernt
werden. Wie wir wissen, steht es in Deutschland nicht gut mit den
Kulturtechniken des Lesens und Schreibens. Gewiss noch schlechter steht
es mit der Kulturtechnik des Sehens. Sehen wird in der Schule nicht
gelehrt, es scheint sich von selbst zu verstehen. Ein großer Irrtum! Wer
einen Baum abzeichnen will, merkt sofort, wie ungenau sein Sehen ist.
Und noch ungeschulter, unzureichender ist der Blick auf die soziale
Welt. Zumal hier der alte Spruch ganz besonders gilt: Man sieht nur, was
man weiß. Sehen ist - eigentlich - eine hochintellektuelle Aktivität.
Und
um in diesem Sinne Sehen zu lernen, kommen uns die Seh-Hilfen von
Bogomil J. Helm gerade recht. Diese Ausstellung zu seinem 50. Geburtstag
zeigt uns, wie jemand Anstoß nimmt an all dem, was uns zu kritikloser
Konformität bringen will.
An Dir, Lieber Bogo, schätze ich nun
schon seit 25 Jahren Deine Sensibilität,
die der verordneten Wahrnehmung
einfach nicht folgen kann, den Naturimpuls,
den man

vielleicht
ein wenig altfränkisch, aber gewiss treffend, als Widerspruchsgeist
bezeichnen muss. Es ist eine Sensibilität, die den Verdacht nicht
loswird, dass etwas nicht geheuer ist an der alltäglichen
Zustandsvergötzung. Denn Zustandsvergötzung ist der gemeinsame Nenner,
auf den 100 % der Werbung und 95 % der Bildpublizistik gebracht werden
können. Zustandsvergötzung war übrigens ein Lieblingsausdruck unseres
gemeinsamen Lehrers Wolfgang Heise, ein Begriff, der einer absoluten
Verurteilung gleichkam. Denn Heise war zu Recht davon überzeugt, dass
das Leben, und mehr noch als das persönliche das gesellschaftliche, nie
geordnet sei, dass es vielmehr ständig geordnet werden müsse. Man könne
mit dem Ordnen gar nicht nachkommen. Und dies sei nicht zuletzt die
Aufgabe der Kunst. Auch Kunst ordnet, sie ordnet unser Fühlen, unser
Denken und Verhalten. Ein Kriterium, das ich für die Beurteilung von
Gegenwartskunst nur empfehlen kann! Ubrigens hat Heise nicht als erster
von Zustandsvergötzung gesprochen, er hat den Begriff von Arthur
Schopenhauer übernommen, wie ich viele Jahre später zufällig bemerkt
habe. Ich war sehr überrascht: Wer hätte Schopenhauer einen Begriff mit
dieser politischen Sprengkraft zugetraut?

Wie
wird Sensibilität politisch? Sie wird es und sie muss es werden, wenn
sie sich ihr Blickfeld nicht eingrenzen lässt, wenn sie Zartgefuhl fur
alles ist, was den Menschen betrifft. Die Freude des Fotografen Bogomil
Helm am Spiel von Licht and Schatten, an der Aufteilung der Bildfläche
ist ziemlich nah an der Abstraktion. So etwa in den Fotos, die er in den
letzten Jahren von seiner Heimatstadt Freiberg gemacht hat. Und eben
diese mit der Lyrik des Lichts vorgegebene Empfindsamkeit schafft es,
die Bestandsaufnahme der vernachlässigten Häuser auf ein symbolisches
Niveau zu heben: Man sieht die Bauwerke und erkennt ihre Biographie,
mehr noch: man erkennt einen Gesellschaftszustand. Man lernt, die
Physiognomik der gebauten Umwelt als zeitgeschichtliches Zeugnis zu
lesen.
Das alte Haus mit dem immer noch schonen Hausteinportal aus der
Zopfzeit, rechts daneben das Schild "Stadtpark-Restaurant" mit der
abblätternden Farbe über einem Eingang, der offenbar langst zur Garage
umfunktioniert worden ist, es erzählt Geschichte. Nicht anders als das
neuerbaute Parkdeck mit Ampel, mehreren Verkehrszeichen und
Stacheldraht.
Einerseits eine
Geschichte
von Vorläufigkeit und Notbehelf und damit indirekt von einer mit Mühe
uberwundenen Katastrophe, andererseits eine Geschichte von einer
smarten, allzu smarten und allzu selbstsicheren Verwaltung. Nicht nur
die Ruinen sprechen, auch die Neubauten, und dies vor allem durch die
Details. Es gibt eine Sprachkraft der Relikte nicht nur in der
Archäologie, sondern auch und gerade in der Moderne. Denn in der
modernen Welt treten die anonymen Sachzwänge deutlicher hervor, und
diese sprechen sich eher in den Herrschafts- und Kollektivsymbolen, in
den Propagandaparolen und Warenfetischen aus als im Erscheinungsbild der
Menschen.
Was kann man den Symbolmilieus und dem ungeheuren
materiellen Aufwand der Bilderflut entgegenstellen? Nur eine Politik der
Nadelstiche. Und so, glaube ich, entstand Anfang der achtziger Jahre
die Mail-Art. Also nicht anders als die klassische Fotomontage, die bei
Heartfield mit der ironischen Verfremdung der Kriegspropaganda einsetzt.
Es sind mit geringsten Mitteln vorgetragene hochartikulierte
Einspruche, die der Phrase die Wirklichkeit entgegenhalten. "Neue Zeit"
steht groß an einer
Brandmauer, die uns an die kaum anheimelnden Wohnverhältnisse im Prenzlauer Berg erinnert.
Eine
ganz eigentumliche und nachdrückliche Form der Visualisierung hat
Bogomil Helm mit dem Zyklus "Brandspuren" geschaffen. Das menschliche
Leid der Bombardements ist längst dokumentiert, und wir kennen die
Aufnahmen davon, jetzt werden wir mit einer visuellen Metaphorik
konfrontiert, die uns entstellte Landkarten andeutet, Brandflächen und
Krater, vor allem aber - und dies mit rein bildnerischen Mitteln - die
gleichbleibende Physiognomie der Zerstörung zeigt. Und diese
Bombardements, ob nun in Europa, Belgrad 1999, oder im Nahen Osten,
Bagdad 2003, sie sind ein Teil unserer Welt. Wer unsere Welt verstehen
will, muss immer das Ganze vor Augen haben, also auch, dass 1999 in
Europa, von Europäern unter Bruch des Völkerrechts Bombardements
abgesegnet und gesegnet wurden.
Die Vernunft ist eine
synthetische Kraft, sie bedenkt alle Aspekte. Bildende Kunst, sofern sie
etwas zu sagen hat, geht mit der Vernunft gleichen Schrittes. Und Dir,
lieber Bogo, wünsche ich für diesen Deinen Weg auch in Zukunft: gutes
Schuhwerk!
Abbildungen: Aus Projekt
dicht am grau (seit 2001)
.......................................
Steffen Mensching, Text zur Ausstellung "Seh Hilfen", 2004
Ausstellung in der Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung, Potsdam, 2004
Meine
erste eigene Wohnung war eine Dauerleihgabe Bogomil Helms. Die Adresse
war Eberswalder Straße 16, Hinterhof, Seitenflügel links, Erdgeschoss,
gleich hinter den Müllcontainern. Es war Bogos Studentenbude, die er
nicht mehr brauchte, weil er sich, durch Partnerwahl, in ein Haus in der
Schwedter Straße abgesetzt hatte. In dieser Gruft – ein anderer Name
wäre eine Übertreibung – lebte ich ein gutes Jahr umgeben von Bogomils
Frühwerk, das an den Wänden hing und mich bedrohte.
Es war eine düstere
Bilderwelt in einer noch viel düsteren Umgebung.
Ich erzähle dies, um
anzudeuten, ein Bruder Leichtfuß war dieser Künstler nie,
im Jahre 1979
so wenig wie heute. Seine Bilder sind keine Knaller und die Gefahr, dass
ihn die Werbeindustrie aufkauft, ist gering. Ebenso wie bei Bogo
selbst,
in dem man heute noch immer den
jungen
Stürmenden der Studentenjahre erkennt, der sich physiognomisch und
bekleidungstechnisch nur gering verändert hat, gibt es auch in seinen
Arbeiten ausdauernde Kontinuität, stilistisch wie thematisch. Das
Grelle, Ausgestellte des Anfangs hat sich abgeschliffen, wurde mehr und
mehr reduziert. Dies zeugt von der Lebensklugheit eines Mannes, der
seine Grenzen erkennt.
So kam es zur Hinwendung zu flächigeren
Strukturen, auch zur Plastik. Ein interessanter Widerspruch zu dieser
handwerklichen Beharrlichkeit ist die Stoffwahl Helms. Fühlt er sich
doch hier eher flüchtigen Erscheinungen verpflichtet: Schatten und
Schattenwesen. Auch jene Seelenzustände, in denen wir uns, aus
Selbstschutz und Schwäche, in Illusionen retten.
Ausbüxen, Abducken,
Unterwerfen. Viele seiner Arbeiten aus den frühen Jahren haben nichts
von ihrer verhaltenen Provokanz verloren. Das ist schön für Bogo J. Helm
und, jenseits der Kunst, schade für Land und Leute.
Abbildung: Kleines Spitz(l)ohr. 1985, Polyesterharz getönt
Müder Krieger. 1985, Zinnguß
.......................................
Aus Katalog: Brandspuren. Fotogramme. 2003
Bomben
auf Dresden, Hiroshima, Hanoi, Beirut, Tripolis, Belgrad, Kabul,
Bagdad... Napalm, Streu- und Nuklearbomben, Präzisionswaffen...
Demütigen, terrorisieren, vernichten. Der Tod kommt von oben. Feige
Mörder. Die Verlierer stehen fest.
Die Dokumente menschlicher
Tötungslust verwehren sich der Gestaltung; Anstand und Ehrerbietung
gegenüber den Opfern scheinen verletzt; verwässert auch der Zorn, der
dem Widerstand Flügel verleihen sollte. Das wirkliche Leid ist nicht ins
Bild zu bringen. Jeder Versuch scheint anmaßend. Möglich ist
Erinnerungsarbeit. Viele dieser Akte von Staatsterrorismus,
Bombardierungen von zivilen Zielen, nie von der „Weltgemeinschaft“
legitimiert, provozieren die Frage nach der Berechtigung, anderen
Kulturen das „bürgerliche Menschenbild“ und sein Demokratieverständnis
als Vorbild anzuempfehlen.
Gegen ein von Politik und Medien
geradezu kalkuliertes Hoffen auf Vergesslichkeit möchte ich mahnen, auf
welch' morschem Gebälk sich diese unsere „freiheitliche“
Spassgesellschaft austobt.
Und wir können nicht sagen, wir hätten es nicht gewusst.
Bogomil J. Helm
Abbildungen: 2001_bomben auf kabul; 1999_bomben auf belgrad (v.l.n.r.)
.......................................
Natur Denk Mal - Text zur Ausstellung, Februar 1988 in Cottbus, Meißen-Siebeneichen, Berlin
Ausstellung Mail Art - Natur Denk Mal (Aus der Sammlung Helm)
Mit
dieser Ausstellung soll ein weiteres, Postkunstverkehr seit Jahren
bestimmendes Thema vorgestellt werden; nicht repräsentativ - birgt es
doch die Zufälligkeiten einer nicht auf kontinuierliches Sammeln
gerichteten Korrespondenz in sich - und dennoch weist die Auswahl auf
mehrere Schwerpunkte, die diskussionswürdige Fragestellungen auch über
das Medium MAIL ART hinaus provozieren:
- Die Konfliktstoffe, auf die
- bildkünstlerisch unterschiedlich verdichtet - verwiesen wird, sind
globaler Natur; selbstredend beginnt auch hier die Ursachensuche meist
vor der eigenen Haustür. Gestaltungsmittel, ästhetische Ausrichtung,
Direktheit der Aussage.., werden wesentlich durch die Stärke
individueller Betroffenheit geprägt. Erweiterte Realitätskontrolle wird
eingeklagt über den als eng erfahrenen Informations- und
Handlungshorizont hinaus; ohne - und auch das wäre zu verstehen - in
weinerlichen Subjektivismus zu verfallen.
- Die verhandelten
Gegenstände scheinen die Mittel zwingend zu diktieren; augenfällig ist
ihr mobiler, operativer Charakter. Traditionelle Drucktechniken wie
Tiefdruck, Lithografie treten zurück; Fotografie, Fotomontage,
Stempel-und Siebdruck bieten sich an; ‚Denkräume zwischen Wort und Bild’
sind oft deutlich gerichtet, die Zeichensprache bleibt sparsam.
-
Oft werden die Arbeiten zu ‚Mahnbildern’ mit appellarischen Funktionen,
die eine breite öffentliche Diskussion ankündigen, mit aufbauen helfen.
Dies geht nicht ohne Beunruhigung, ohne das Aufbrechen tabuisierter
Zonen, ohne Irrtümer, Verharmlosungen und Übertreibungen.
- Die Sorge
um ein vernünftigeres Verhältnis Mensch-Natur heute scheint gewachsen
um Problemstellungen, die das humane Fortbestehen zukünftiger
Generationen stärker in den Mittelpunkt rücken. Angesichts
tiefgreifender Gefährdungen existentieller Lebensräume weitet sich der
regionale Appell in der Postkunst zum Internationalen.
- Mehrfach
mögliche Menschheitsvernichtung mittels eines nicht mehr vorstellbaren
Arsenals von Massenvernichtungswaffen wird in Abhängigkeit von der
geografischen Lage, ökonomischer, politischer und kultureller
Einbindungen sehr verschieden in ihrer globalen Dimension begriffen;
ähnliches zeigt die Ausstellung anhand der Konflikte Mensch-Natur. Die
Suche nach menschlichen Antworten scheint einerseits die Auflehnung
gegen europazentristische Losungen und Lösungen, andererseits auch die
Verpflichtung zu übernationalem Mit- und Vordenken zu implizieren.
-
An einigen Stellen werden die Vernetzungen transparent, die die Suche
nach Wegen zu weltweiter Friedfertigkeit mit Vorschlägen für
zukunftsträchtige Symbiosen Mensch-Natur zwangsläufig verbinden,
-
Wichtig scheint mir, daß MAIL ART als relativ junge Form
länderübergreifender ästhetischer Kommunikation sich einer
‚pseudooptimistischen’ Beschönigung und selbstzensurierten Schweigens
oder Verschweigens verweigert; ihre Akteure praktizieren und fordern
Redlichkeit und möchten - nicht verbissen - ernst genommen werden.
Bogomil J. Helm, Januar 1988
Abbildungen: Jetzt wird Freude geMACHT... 1987; "Kein schöner Land..." 1986. Fotomontagen, Siebdruck
.......................................
Ausstellung "WaidBlick", Prignitz-Museum Havelberg
Prof. Karin Hirdina / Prof. Heinz Hirdina, September 1989 - Katalogtext
Bogomil
Helm hat eine ausgeprägte Hand-Schrift; sie zeigt sich weniger in den
Linien seiner Blätter und Plastiken als vielmehr in den handhabbaren,
begehbaren und bespielbaren Formen, die eine andere Art von Kunst sind:
sie zeigen und ermöglichen Handlungen,
Oft bleiben davon nur Fotos.
Auf ihnen sind Räume zu erkennen, in denen Wände zu Bildträgern und
Decken zu Zeichenträgern geworden sind. Wer in solchen Räumen gewesen
ist, weiß, daß Zuschauer, Zuhörer, Akteure dazugehören; daß man durch
Helms Kunst hindurchgeht und daß an einem kleinen Stand vielleicht
Plakate, eine von Helm gestaltete Broschüre oder seine Postkarten
verkauft werden.Helms Kunst stellt Verbindungen her, lebt aus der
Spannung zum jeweils anderen: zur Musik, zum Theaterspiel, zürn Fest,
zur „Werkstatt". Sie braucht oft die Ergänzung — wozu Bogomil Helm auf
einer Postkarte selbst auffordert: „Ergänze vernünftig". Das Material,
aus dem sich Verbindungen herstellen, kann auch vorgefertigt sein. Das
zeigen seine Fotomontagen. Die für uns berührendste: Tatlins Turm der
III. Internationale hinter einem historisierenden Torbogen des Berliner
Nikolaiviertels und vor einer Fassade des industriellen Wohnungsbaus.
Helm
macht oft etwas für etwas, Meist sind es Veranstaltungen, auf denen
junge Leute das Sagen haben. Löst man die Aufkleber, Postkarten,
Plakate, Fotomontagen und Fotos von den Anlässen, denen sie ihr
Entstehen verdanken, bleibt die pure Aussage. Zu entdecken ist dann, daß
Bogomil Helm mit Sprache umgehen kann. Sein Begriff „Weltpostkarte" mit
der Landkarte der Sowjetunion ist wohl der kürzeste Kommentar zum Neuen
Denken.

Bogomil
Helm hat ein erstaunlich ungebrochenes Verhältnis zu Ökonomie und
Sachlichkeit, Bildliches und sprachliches Ornament sind ihm fremd. Je
knapper, desto besser. Das hat er nicht aus dem Bauch, sondern aus dem
Kopf. Er verleugnet nicht, daß er studiert hat (Kultur- und
Kunstwissenschaft), daß er sich mit einer ganz bestimmten Tradition
lange beschäftigt hat: mit der künstlerischen Avantgarde der zwanziger
Jahre, besonders mit ihren Beziehungen zur politischen Kunst ihrer Zeit.
Darüber hat er eine theoretische, eine Diplom-Arbeit geschrieben, von
dieser Tradition lebt eine Linie seines Gestaltens: die Montagen, die
Raumgestaltungen. Und hier liegt auch die — theoretische — Quelle für
das Arbeiten mit verschiedenen Medien, auf unterschiedlichen Gebieten,
für die Sucht nach Zusammenarbeit: mit „Karls Enkeln", mit Kindern, mit
Mail-Artisten. Wohl kaum aber ließe er sich auf die Linie konstruktiver
Sachlichkeit festlegen. Dagegen spricht auch die Spannung, die zwischen
seinen früheren Radierungen und seinen fotografischen Abbildern von
Strukturen besteht.
Bogomil Helm lebt im Prenzlauer Berg von Berlin
und in einem ebensowenig idyllischen Dorf. Er geht aufmerksam durch den
städtischen Alltag und ebenso durch Reste von Natur. Was er zeigt,
gehört ins öffentliche Bewußtsein, damit es als öffentliche
Angelegenheit erkannt werden kann.
(Katalogtext der Ausstellung Waid Blick im Prignitz-Museum Havelberg und Mönchskirche Salzwedel)
Abbildung: Hommage á Tatlin. 1987, Fotomontage
.......................................
"Lecheln und hecheln lassen – Postkunst gegen verordnete Ruhe" 1989
Text zur Ausstellung, Februar 1989 im Kulturhaus der Energiearbeiter Berlin
Arbeiten
von 86 Mail-Artisten aus 19 Ländern: Die hier gezeigten Arbeiten sind
nicht das Ergebnis gezielter Aufrufe oder systematischen Sammelns. Es
ist eine Auswahl geposteter Kunst aus 10 Jahren brieflicher Kontakte mit
Sympathisanten dieser spezifischen Art von ,Dialog per Kunst'; es sind
Arbeiten gestaltungs- und kommunikationshungriger Partner mit sehr
verschiedenen sozialen und – im Besonderen – ästhetischen Haltungen und
Erfahrungen.
Verbindend sind weniger Handschrift, Alter, Perfektion –
es sind wohl eher: die Neugierde auf Kommunikation, auf andere und neue
Formen und Umstände der Produktion von Kunst; die Hoffnung auf
unkonventionelle, länderübergreifende Mitteilung und Solidarisierung;
die Auflehnung gegen diktierte Sprachlosigkeit, Tabuisierungen und ,arme
Horizonte'. Insofern ist Mail Art für ihre Akteure Trainingsstätte für
eine internationale Kultur des Verstehens, für humanen Austausch gegen
die alten Muster nationaler Abschottung und Überhebung.
Mail Art ist frieden-stiftend
Erweiterte
Realitätskontrolle wird eingeklagt durch Akteure, die den vorgefundenen
Informations- und Handlungshorizont als zu eng, als letztlich
unmenschlich erfuhren,
durch eine Methode des Kommunizierens, die ,Lust
auf Welt', Mitteilung, auf Kennenlernen
anderer Kulturkreise ... verrät,
durch Schaffung einer eigenen internationalen Infrastruktur,
einem
Netzwerk eigener Ausstellungen,
Zeitungen,
Archive und Begegnungen. Das übergreifende Thema dieser Ausstellung hat
viele, bildkünstlerisch mehr oder weniger dichte, hier nur skizzierte
Schwerpunkte: Engagement für Frieden und die ökologischen Probleme
dieser Welt; Einsatz für transparente und so auch gestaltbare
Verhältnisse auf allen Ebenen gesellschaftlichen Verkehrs; Partizipation
an mutmachenden Entwürfen für Zukunft, die uns aus dem Osten erreichen;
Appell für ,visuelle Poesie', für eine „Poetisierung“ des Lebens
überhaupt; nachdadaistische ,Provokationen', verbunden mit Reminiszenzen
an eine nicht alt gewordene Avantgarde; Faszination für neue mobile
Reproduktionstechniken, die sich vorerst Vermarktungsgesetzen entziehen.
Wichtig
scheint mir, daß Mail Art als relativ junge Form internationaler
ästhetischer Kommunikation sich selbstzensurierten Schweigens und
pseudooptimistischer Anpassung an ,verordnete Ruhe' verweigert; ihre
Akteure praktizieren und fordern Redlichkeit und möchten – nicht
verbissen – ernst genommen werden.
Bogomil J. Helm Februar 1989
Abbildungen: "Wohl behütet". 1986, Fotomontage und "Horch ab". 1985, Fotomontagen