Busfahren auf der Insel Flores in Indonesien. Semiotische Analysen eines alltäglichen Kontextes

Eine Arbeit von Kurt Zurfluh und Nimal Bourloud

Im Rahmen der Indonesien-Exkursion, Institut für Sozialanthropologie, Universität Bern

Leitung: Prof. Dr. Heinzpeter Znoj

Begleitung: Simon Weber, Rahel Jud, Melinda Rieder - Merci

Sommer 2019


[1] Worum es geht

Im Juni/Juli 2019 wurde vom Institut für Sozialanthropologie der Universität Bern unter der Leitung von Prof. Dr. Heinzpeter Znoj eine Indonesien Exkursion durchgeführt. Im Rahmen dieser Exkursion ist auch unsere Forschungsarbeit und Webseite unter dem Titel Busfahren auf der Insel Flores in Indonesien. Semiotische Analysen eines alltäglichen Kontextes entstanden.

Wir haben relativ früh beschlossen, dass wir eine Forschung in öffentlichen Verkehrsmitteln durchführen möchten. Als theoretischen Ausgangspunkt haben wir uns dabei auf ein klassisches sozialanthropologisches Konzept bezogen, die dichte Beschreibung von Clifford Geertz (1973). Was uns an diesem Theorieansatz von Geertz zusagte, war die Grundannahme, einen bestimmten („kulturellen“) Kontext als Bedeutungsgewebe / Webs of significance aufzufassen (Geertz 1973: 5). Das alltägliche Busfahren auf der Insel Flores erschien uns hier als ein sehr reichhaltiger Kontext, beispielsweise in Bezug auf Soziale Interaktion und Kommunikation, Symbole, Handzeichen, Signale und auch Bildsprache oder Dekorationspraxis. In diesem Sinne ging es uns um semiotische Analysen, um die Erschliessung von Bedeutungen. So flogen wir im Juni mit dem Vorhaben nach Labuan Bajo, während zwei Wochen in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein und der folgenden, zugegebenerweise relativ offenen Frage nachzugehen: Welche Symbole lassen sich im Kontext alltäglichen Busfahrens auf der indonesischen Insel Flores finden und inwieweit lassen sich zugrundeliegende Bedeutungen interpretieren?

[2] Methode, Vorgehensweise und Forschungsverständnis

Labuan Bajo und seine Bemos

Die Tourismusorganisation Wonderful Indonesia bezeichnet Flores wie folgt:

“On the westernmost tip of the Island of Flores, the town of Labuan Bajo sits peacefully with many wonders waiting for you to explore. Labuan Bajo was only a small fishing site that today has flourished to become the gateway to many exotic destinations in East Nusa Tenggara.”3

Und genau so haben wir Labuan Bajo auch erlebt. Das kleine Städtchen an der Westküste Flores ist ein überschaubarer Ort. Die Häuschen des Bajo Tribes erinnern an vergangene Zeiten, in denen Labuan Bajo noch ein kleines Fischerdörfchen war. Um die traditionellen Häuser herum stehen jetzt Wohnhäuser, Hotels, Cafés und Shops. Alles wird modernisiert, um den Ort zu einem neuen Tourismus Hotspot zu machen. Tagsüber ertönt höllischer Baulärm durch die Strassen, da an vielen Orten eifrig gebaut wird. Imposant ist der neue Hafen mit Einkausmeile, welcher immer noch in Bau ist. Auffällig sind die vielen farbigen Bemos, die durch die Strassen kurven und Touristen anwerben. Ob in einem Restaurant im westlichen Stil oder einem indonesischen Warung (Essensstand) überall gibt es etwas zu naschen. Am Abend stehen jeweils viele verschiedene Fischverkäufer am Quai und bereiten den frischen Fisch vor den Augen der Gäste zu. Das ist eine Attraktion für Tourist*innen und für die Einheimischen eine gute Gelegenheit, sich ausser Haus zu treffen. So ist Labuan Bajo der perfekte Ausgangsort für Tagesreisen nach Rinca (Heimat der Komodowarane), Batu Cermin (Höhlensystem) oder Gua Rongko (Höhle mit See zum Baden). Berühmt ist Labuan Bajo auch zum Tauchen. Ein Tauchfreak erzählte uns, dass er keinen schöneren Ort zum Tauchen kenne. So ist Labuan Bajo eine Mischung aus Alt und Neu, ein Ort, welcher im stetigen Wandel hin zur generellen Modernisierung ist.

Teilnehmende Beobachtung und audiovisuelle Feldnotizen

Länger als zwei Wochen hinweg waren wir als teilnehmende Beobachter auf den Strassen in und um Labuan Bajo unterwegs und verbrachten oft mehrere Stunden pro Tag in Bemos (lokaler Name für Kleinbusse) und anderen öffentlichen Verkehrsmitteln. Wiederholt trafen wir dabei auf dieselben Passagiere und Fahrer, beispielsweise auf den Bemo-Fahrer Peter, welchen man im Titelbild der Webseite neben Kurt sieht.

“‘What does the ethnographer do?’ - he writes” (Geertz 1973: 19). Ethnographien werden als Texte angesehen und Feldnotizen werden in der Regel als geschriebene Notizen verstanden. Wir möchten den Begriff hier weiter fassen und auch audiovisuelle Feldnotizen (Ton- Bild- und Filmaufnahmen) mit einschliessen. Im Forschungsprozess kann die Arbeit mit Aufnahmegeräten unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. So verstehen Breidenstein et al. (2015: 90) Aufzeichnungen in erster Linie als Dokumentationsverfahren, die es ermöglichen, Ereignisse zeitgleich, detailreich und relativ deutungsfrei festzuhalten und so das Passierte für eine spätere Datenanalyse zu konservieren. In eine andere Richtung argumentiert Bina Elisabeth Mohn (2010: 154 156) und zwar dahingehend, die Kamera im Prozess der Feldforschung nicht einfach als ein technisches Hilfsmittel zur Dokumentation anzusehen, sondern als eine bestimmte Erkundungsweise des Feldes zu nutzen, als Caméra Stylo, mit welcher Bilder durch die Blicke der Blickenden „eingesammelt“ werden. Eine wichtige Feststellung macht David MacDogall (1998: 257), wenn er betont, dass „images and written texts not only tell us things differently, they tell us different things”. Schliesslich können Aufnahmen im Prozess der nachträglichen Bearbeitung die Gedächtnisleistung unterstützen, beim Erinnern helfen und die Rekonstruktion von Erlebnissen erleichtern. Für uns spielten alle diese Aspekte eine Rolle. Als Aufzeichnungen/Dokumentationen zeigten sich die gesammelten Daten in der Analyse für unsere Arbeit sehr produktiv. So fanden wir in Fotos etwa wertvolle Details, die uns während des Feldaufenthaltes nicht aufgefallen waren und aus denen wir neue Erkenntnisse ziehen konnten. Die Sichtweise von Mohn lässt sich auch auf Aufnahmen mit dem Audiorecroder übertragen und so versuchten wir darin, eine spezifische Beobachtungs- und Erkundungsweise zu sehen, mit der wir das auditive Umfeld in den Fokus nahmen. Schliesslich wurde die Feststellung von MacDougall insbesondere für die abschliessende Präsentation in der Form einer Webseite relevant. Die zusammengetragenen Daten verfügen als unterschiedliche Medien (Ton, gesprochene Sprache, Foto, Film, Text) auch über unterschiedliche Beschreibungsleistungen, die sich gegenseitig ergänzen, sich vielleicht auch widersprechen, auf jeden Fall aber die Lese-/Betrachtungsarten unserer fertigen Arbeit erweitern.

Webseite

Wir haben uns entschieden, für unsere Forschungsarbeit eine öffentliche Webseite zu erstellen. Wir verfolgten damit verschiedene Ziele. Es ging uns unter anderem darum, eine Form zu finden, welche multimodal, also über verschiedene Sinneskanäle, funktioniert und somit den gesammelten Daten gerecht wird – quasi eine dichte Darstellungsform. Wissenschaftliche Arbeiten von Studierenden, insbesondere die kleineren und die geschriebenen, tendieren dazu sich sang- und klanglos im Arbeitendschungel der Uni zu verflüchtigen. Zweitens erhoffen wir uns also mit der Webseite ein grösseres Publikum ansprechen zu können. Da die Inhalte zu einem grossen Teil audiovisuell sind, sollten sie auch für Personen aus Labuan Bajo zugänglich sein, eine Übersetzung auf Englisch soll hier den Zugang weiter vereinfachen. Drittens sollen die verschiedenen audiovisuellen Fragmente die Seitenbesucher*innen zu einer selbständigen Erschliessung/Konstruktion von Bedeutung einladen. Schliesslich möchten wir unsere Forschung und unser Vorgehen durch die Webseite auch transparent gestalten.

[3] Alltägliches Busfahren in Labuan Bajo - Eine Annäherung mittels einer Videoanalyse

Bemo 1.mp4
Videoanalyse 2 - Bemonamen
Videoanalyse 4 - Macho-Dekorationen
Videoanalyse 1 - Handzeichen
Videoanalyse 3 - Bemo-Hauptrouten
Videoanalyse 5 - Religiöse Symbole

[4] Fokus I: Bemo-Dekoration als Repräsentationsregime und als Ausdruck dominanter Diskurse über Männlichkeit lesen

Erst im späteren Verlauf unserer Feldforschung wurden wir auf eine Vielzahl von Dekorationselementen an Bemos und anderen Verkehrsmitteln aufmerksam, welche sexistisch oder machistisch auf uns wirkten: Sexualisierte Darstellungen von Frauen auf Spritzschutzblechen oder als Innen- bzw. Aussendekorationen von Bemos und insbesondere die ausdrucksstarken Spruchkleber, auf welchen Sätze stehen, wie: „Deine Liebe ist nicht so rein, wie mein Benzin“, „Warnung: leicht erregbar“, „Wenn Papa zurückkehrt, tanzt Mama ohhh Papa…! oder auch einfach nur „Merk dir die Message, Miss“.

Was sagen nun solche Dekorationselemente aus, insbesondere in einem Kontext , wo eigentlich nur Männer als Bemo-Fahrer tätig sind? Welche Botschaft transportieren diese Sprüche und Bilder oder in den Worten des Französischen Philosophen und Literaturwissenschaftlers Roland Barthes, was ist ihr Mythos? (Barthes 2010: 251). Der einzelne Spruchkleber trägt hier sicher eine Bedeutung, in einem grösseren Kontext gesehen ist eine solche einzelne Aussage jedoch noch nicht sehr aussagekräftig. Spannend wird es aber, wenn wir ihn im Zusammenhang mit anderen Darstellungen lesen. Der Kulturwissenschaftler Stuart Hall benutzt in diesem Zusammenhang die Begriffe Inter-Textualität und Repräsentationsregime. Nach Hall bezeichnet Inter-Textualität die „Anhäufung und Veränderung von Bedeutungen über verschiedene Texte hinweg“ und Repräsentationsregime bezieht sich auf „das gesamte Repertoire an Bildern und visuellen Effekten, durch das ‘Differenz’ in einem beliebigen historischen Moment repräsentiert wird“ (Hall 2004: 115). In anderen Worten geht es hier um dominante Diskurse, die über solche Bilder und Texte hinweg zum Vorschein treten.

Aussagen wie „Papa pulang jumat sore“ (Papa kehrt am Freitagnachmittag zurück) oder „Papa pulang, Mama goyang ohhh Papa…!“ (Wenn Papa zurückkehrt, tanzt Mama ohhh Papa…!) könnte man gut als Ausdruck von festen Geschlechterrollen lesen: Papa oder einfach der Mann ist unterwegs, arbeitet womöglich als Fahrer und kehrt dann zurück zu Mama oder zur Frau, welche sich Zuhause befindet. In eine ähnliche Richtung liest sich der Spruchkleber „Warning 100% Cowok tulen“, was aussagt, dass man es hier mit einem 100% echten Kerl zu tun hat, dem normativen Ideal-Mann, was gleichzeitig impliziert, dass es auch solche Männer gibt, die es eben nicht sind. Aus einer solchen Aussage, so könnte man argumentieren, treten bestimmte Vorstellungen von Männlichkeit und Heteronormativität hervor. Warum vom 100% echten Kerl Gefahr ausgeht wird nicht explizit, er erscheint durch diese Markierung jedenfalls als aggressiv oder gefährlich. Konkreter wird hier der Spruchkleber mit der Aufschrift „Warning Mudah Terangsang“, was soviel bedeutet, wie “Warnung: Leicht erregbar”. Diese Aussage wirkt in hohem Masse sexistisch und machistisch, das Geschlechterstereotyp vom triebgesteuerten Mann wird hervorgerufen.

[See slides above]

Abbildung 1: Spruchkleber und Bemo-Dekorationen mit einer “Message”

Die Spruchkleber und Dekorationen lassen sich hinsichtlich ihres Inhaltes nicht auf einen einzelnen Nenner bringen und doch scheinen sie um ähnliche Themen zu kreisen. Es geht um dominante Diskurse über traditionelle Geschlechterbilder und Geschlechterrollen, um die Konstruktion von Männlichkeit. Gemeinsam ist ihnen, dass es sich um stereotype Darstellungen handelt. Über die Repräsentationspraxis des Stereotypisierens sagt Stuart Hall folgendes:

Stereotypisierung reduziert Menschen auf einige wenige, einfache Wesenseigenschaften, die als durch die Natur festgeschrieben dargestellt werden. […] Ein weiteres Kennzeichen von Stereotypisierung ist ihre Praxis der ‚Schließung‘ und des Ausschlusses. Sie schreibt symbolisch Grenzen fest, und schließt alles aus, was nicht dazugehört. […] Drittens tritt Stereotypisierung vor allem dort in Erscheinung, wo es große Ungleichheiten in der Machtverteilung gibt. (Hall 2004: 143 - 144)

Hall sieht Stereotypisierung hier als „Teil der Aufrechterhaltung der sozialen und symbolischen Ordnung“ und argumentiert in Anlehnung an Gramsci, dass es hier auch um die Aufrechterhaltung und Legitimation von Hegemonie geht, also um „eine Form von Macht , die auf der Führung einer Gruppe in vielen Handlungsfeldern gleichzeitig beruht, so dass ihre Vormachtstellung über breite Zustimmung verfügt und als natürlich und unvermeidbar erscheint“ (Hall 2004: 144 - 145).

Zusammenfassend möchten wir nun argumentieren, dass die Dekorationselemente, welche wir in Bemos und öffentlichen Verkehrsmitteln in und um Labuan Bajo gefunden haben, eine stereotypisierende Wirkung haben. Sie können einerseits als Ausdruck von etablierten Normalitätsvorstellungen und Diskursen angesehen werden und andererseits reproduzieren sie diese wieder. In ihrer Gesamtheit bilden sie ein Repräsentationsregime (vgl. Hall 2004), das unter anderem die patriarchale Vormachtstellung innerhalb des Berufsfeldes des Busfahrens untermauert.

[5] Fokus II: Abwesenheit Religiöser Symbole

Einleitend ist zu sagen, dass wir nicht während unserer Feldforschung auf die religiösen Symbole gestossen sind, nein, nämlich erst als diese schon abgeschlossen war und wir in unserer Analyse zu Hause angekommen waren. Denn diese Zeichen fehlen in einem Land mit Religionszwang fast komplett.

Am 1. Juni 1945 stellte Sukarno (ehemaliger Präsident von Indonesien) die Pancasila vor. Das ist eine Staatsphilosophie mit fünf Prinzipien. Das erste Prinzip ist «Das Prinzip der ganzheitlichen göttlichen Herrschaft» (Ketuhanan Yang Maha Esa) (eslamGmbH, 2006) und besagt, dass alle Bewohner*innen eine Religionszugehörigkeit haben müssen (Britannica, 2020). Toleriert werden die fünf Staatsreligionen, folgend angegeben mit dem Zugehörigkeitsprozent: Islam (88%), Protestanten (5.8%), Katholiken (2%), Hindus (0.9%) und Buddhisten (strebt gegen 0%)

Auf der Insel Flores sind 85 % der einwohnenden Katholik*innen und somit christlich geprägt (Wackers, 1997). Bei den anderen 15% handelt es sich um die anderen vier Staatsreligionen. Labuan Bajo wurde ursprünglich vom Bajo-Tribe gegründet, der immer noch einen grösseren Teil der Einwohner_innen Labuan Bajos ausmacht. Der Bajo-Tribe ist vorwiegend islamisch und hat darum auch an verschiedenen Orten Moscheen. Auf Google Maps sind 12 Moscheen auf dem engen Raum Labuans eingezeichnet (Google Maps, 2020). Drei davon sind grosse Moscheen mit Gebetsrufen zu den fünf Gebetszeiten, die wir jeden Tag erfahren durften. Christliche Gotteshäuser hat es jedoch nur fünf (Google Maps, 2020). Auch dieses Bild an sakralen Gebäuden zeigt, dass die Religion in Indonesien wichtig ist. Die vielen Moscheen sind zudem ein schwererwiegender Anhaltspunkt, dass die Mehrheit der Einwohner_innen Labuan Bajos muslimisch sind. In Gesprächen haben wir zudem herausgefunden, dass verschiedenste Personen aus den Arabischen Ländern Interesse an finanzieller Unterstützung der Sakrallandschaft in Labuan Bajo angekündigt haben.

Durch diese Staatsphilosophie hat die Religion bei den Indonesier*innen einen hohen Stellenwert. Religiöse Praktiken werden je nach Region öffentlich oder auch nicht öffentlich praktiziert und fast in jedem Haus steht ein Altar oder sind Symbole der jeweiligen Gottheit vorhanden, die man anbetet. Religiöse Symbole wie Nikab, Schleier, Kreuz, Rosenkranz oder Dastar werden öffentlich getragen. Wie auch bei uns werden Autos mit religiösen Symbolen ausgestattet, da sie als Schutzpatrone dienen sollen. Bei unseren Beobachtungen in Labuan Bajo sind uns im öffentlichen Raum und vor allem in den Bemos überwiegend säkulare Symbole aufgefallen. So zum Beispiel westliche Marken oder viele machistische Dekorationselemente. Interpretationen zu diesen lesen Sie im Kapitel 4 “Fokusthema Bemodekoration”.

Von mehreren Informanten erfuhren wird, dass die Hauptgesprächsthemen der Männer Fussball, Frauen und der Job sind. Daher kommen die vielen westlichen Marken wie GoPro oder Mercedes, Vereine wie Real Madrid oder FC Barcelona und natürlich die machistischen Dekorationselemente auf und in den Bemos vor. Bei der Analyse dieser Elemente ist uns aufgefallen, dass es unter den vielen Symbolen sehr wenige bis gar keine religiösen Zeichen hat. Wir fanden unter all unseren Fotos ein religiöses Symbol in Form eines Rosenkranzes, welcher an einem Innenspiegel hing. Bei nicht richtigem Beachten oder nur marginalem Wahrnehmen (da in einem Bemo meist viel los ist), kann dieses Symbol auf den ersten Blick auch als islamische Gebetskette gedeutet werden. Obschon dann das kleine Kreuz fast mutwillig übersehen werden muss oder es so aufgehängt ist, dass es fast nicht sichtbar ist. Welches in unserem Fall nicht so war. Dieses Fehlen von Religion im öffentlichen Raum hat uns stutzig gemacht. Nimal hatte die Erfahrung aus Indien, dass die Busse und Menschen voller religiöser Symbole waren und hat dies auch in Labuan Bajo ähnlich erwartet. Als wir uns auf die Suche nach den möglichen Gründen gemacht haben, stiessen wir durch Diskussionen und Hinweise zu Texten von unserem Professor und Kommiliton*innen auf viele verschiedene Auseinandersetzungen zwischen Christ*innen und Muslim*innen in Indonesien. In «Muslime und Christen - Djindeng und pendatant. Zugehörigkeiten und Grenzen in einem Dorf in Westflores» schreibt Sabine Zurschmitten über diverse blutige Konflikte zwischen Mitgliedern unterschiedlichen Religionsgemeinschaften, Randgruppen und separatistischen Bewegungen. Ihr ist aufgefallen, dass nationale Eliten, die internationale Presse und indonesische Politiker die Ursachen in der kulturellen und religiösen Unvereinbarkeit der Gruppen sehen und diese auch da gesucht werden. Wissenschaftler*innen sehen jedoch einen Kampf um knappe Ressourcen und damit die Konfliktgründe im politischen und ökonomischen Kontext. (Zurschmitten , 2007: 1)

Grosses Interesse weckt bei der Literaturrecherche das Massacker von Ambon. Am 19. Januar 1999 entflammte einer der grössten Konflikte zwischen Muslim*innen und Christ*innen. Es wird von offizieller Seite berichtet, dass mindestens 200 Menschen ihr Leben verloren. Experten schätzen die Dunkelziffer viel höher ein. (Watch Indonesia!, 1999) Im Bericht der Human Rights Watch wird genau beschrieben, wie es zu diesem grossen Zwischenfall in der indonesischen Geschichte kam. Wie in Konfliktsituationen üblich, gibt es zwei Versionen des Ausbruchs: Eine muslimische und eine christliche Sicht. Wichtig für uns ist, dass beide Aussagen sich in einer Angelegenheit decken und beschreiben, dass der Konflikt im öffentlichen Verkehr ausbrach. (Watch, 1990) Naheliegend sind da die Bemos, weil es zu dieser Zeit noch nicht viele andere ÖV-Angebote in Indonesien gab. Ein solches Massaker mit vielen Toten bleibt im Kollektivgedächtnis einer Nation eingebrannt.

Um solchen weiteren Konflikten aus dem Weg zu gehen, haben die Indonesier*innen eine gute Strategie entwickelt. Wir interpretieren, dass mit dem nicht vorhanden Sein der religiösen Symbole im öffentlichen Raum der öffentliche Diskurs auf profane Themen wie Fussball oder Frauen gelenkt wird. Die religiösen Symbole werden aus unserer Sicht bewusst aus dem öffentlichen Diskurs weggelassen und andere Symbole, als Stellvertreterthemen verwendet. Viele Leute haben unbewusst Angst, dass so ein Konflikt wieder entfachen werden könnte und sprechen in der Öffentlichkeit lieber über andere Dinge, auch wollen sie keine Aggressionen schüren und wählen nicht religiöse Symbole. Wir denken dies passiert mehr oder weniger unbewusst. In Gesprächen erfuhren wir, dass Arabische Länder Geld und Imame nach Indonesien senden, um dort den Islam zu stärken. Auch in Labuan Bajo gab es mehrere solcher Vorstösse. Da beide Religionen jedoch auf einander angewiesen sind, halten sich beide im öffentlichen Raum, so gut es geht, zurück. Das friedliche Zusammenleben steht immer noch im Mittelpunkt. Mit dieser dichten Beschreibung spinnen wir das Gewebe (web of significance), welches zu Kultur darstellt und welches Clifford Geertz immer wieder betont.

[6] Diskussion und Fazit

Unsere Feldforschung hat uns tieferen Einblick in das Leben in und um Labuan Bajo gewährt. Als Passagiere waren wir im öffentlichen Verkehr unterwegs und konnten dank der Offenheit der Einwohner*innen auch Einblicke hinter die Kulissen des Fahrerjobs und des alltäglichen Lebens Labuan Bajos bekommen.

Zum einen als Chance und zum anderen auch als grosse Herausforderung werten wir die grosse thematische Breite, welche unsere Forschung ausmacht. Die Arbeit im Vorfeld kennzeichnete sich dabei durch ein hohes Mass an Unkonkretheit aus, so war uns etwa lange nicht ganz klar, was uns im Feld erwarten würde und was wir überhaupt untersuchen wollten. Unsere Fragestellung war entsprechend offen und allgemein formuliert – semiotische Analysen im öffentlichen Verkehr lassen sich grundsätzlich überall durchführen, wo es öffentlichen Verkehr gibt. Die Offenheit war aber auch produktiv und wir finden dass sich dieser Teil der Arbeit in der Zwischenzeit gut in den Materialien spiegelt, welche wir auf unserer Webseite zusammengestellt haben. Daneben sind wir Thematiken begegnet, denen wir hier als Fokusthemen einen Platz eingeräumt haben, die aber gut als eigenständige Fragestellungen vertiefter behandelt werden könnten.

Wir haben Dekorationselemente an öffentlichen Verkehrsmitteln als einen Ausdruck von dominanten Normalitätsvorstellungen und Diskursen zu Geschlechterrollen und Geschlechterstereotypen gedeutet und wir haben uns dafür interessiert weshalb religiöse Symbole in öffentlichen Verkehrsmitteln kaum zur Schau gestellt werden und sind der Frage nachgegangen was dies bedeuten könnte. Wir finden es an dieser Stelle wichtig, nochmals darauf hinzuweisen, dass gerade bei diesen Themen einige unserer gezogenen Schlüsse und Interpretationen erst im nachträglichen Analyseprozess entstanden sind. Um unsere Ergebnisse fundierter abzusichern, wäre nun ein erneuter Besuch im Feld oder zumindest der Austausch mit Personen aus Labuan Bajo vonnöten.

Durch die Gesprächen mit Passagieren, Wartenden, Fahrenden und vielen anderen Personen, sowie durch unsere eigenen Beobachtungen haben wir viel über Symbole, Zeichen und weitere Dinge erfahren. Nun hoffen wir auch die Besucher*innen unserer Webseite und die Leser*innen unserer Arbeit für das alltägliche Bemofahren auf Flores begeistern zu können. Möglicherweise können wir sogar die einen oder anderen dabei unterstützen sich in Labuan Bajo zurechtzufinden oder ein interessantes Gesprächsthema anzuschneiden.

Literaturverzeichnis

Barthes, Roland 2010: Mythen des Alltags. Berlin: Suhrkamp.

Butler, Judith 1997: Körper von Gewicht. Gender Studies. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Breidenstein, Georg et al. 2015: Ethnografie. Die Praxis der Feldforschung. Konstanz: UVK.

Connell, Raewyn 2015: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Wiesbaden: Springer VS.

Geertz, Clifford 1973: Interpretation of Cultures. Selected Essays. New York: Basic Books.

Geertz Clifford 1987: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Hall, Stuart 2004: Ideologie, Identität, Repräsentation. Hamburg: Argument-Verlag.

Keesing, R. et al. 1987: Anthropology as Interpretative Quest (and Comments and Reply). (T. U.-G. Research, Ed.) 28(2), pp. 161-176. Von https://www.jstor.org/stable/2743185.

Kumoll, K. 2006: Clifford Geertz: Die Ambivalenz kultureller Formen. In S. Moebius, & D. Quadflieg (Eds.), Kultur.Theorien der Gegenwart. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, GWV Fachverlage.

MacDougall, David und Lucien Taylor 1998: Transcultural Cinema. Princeton: Princeton University Press.

Mohn, Bina E. 2010: Dichtes Zeigen beginnt beim Drehen. In: Heinzel, Friederike et al. (Hg.): "Auf unsicherem Terrain". Ethnographische Forschung im Kontext des Bildungs- und Sozialwesens. Wiesbaden: VS Verlag. 153–169.

Schneider, M. 1987: Culture-as-Text in the Work of Clifford Geertz. In Theory and Society Vol.16 (pp. 809-839). Springer. Von https://www.jstor.org/stable/657539.

Wackers, P. 1997: Lebendiger Kosmos, Weltbedeutung und Wirklichkeitsverständnis in Nordlio/Flores. München: Akademischer Verlag.

Znoj, Heinzpeter 2017: Geschichte der Sozial- und Kulturanthropologie II. 10. Vorlesung: Clifford Geertz’ Interpretative Anthropologie. (Unveröffentlichtes Manuskript). Institut für Sozialanthropologie der Universität Bern.

Zurschmitten, S. 2007: Muslime und Christen-Djindeng und pendatang. Zugehörigkeiten und Grenzen in einem Dorf in Westflores. (C. Berger Megahed, R. Büchel, S. Heinzmann, M. Helfer Herrera Eranzo, V. Rothen, M. Toggweiler, H. Znoj, Eds.) Bern: Sabine Zurschmitten und Institut für Sozialanthropologie der Universität Bern.

Anhang: Multimodale Fragmente aus dem Forschungsfeld

Eine Einladung zur selbständigen Erschliessung/Konstruktion von Bedeutungen

A Tast of Labuan in a Bemo.mp4
The Streets of "Labu"
Bemo 3.mp4
Ad hoc Reenactment
Interview mit Peter.mp3
Interview mit Peter (im Bild rechts)
Bemotalks-Crystal.wav
Über die Bedeutung des Bemo-Namen "Crystal"
Youtube Video von Edy
Blick durch das Rückfenster
Einsteigen, Aussteigen, Sitzen bleiben
di pasar Wae Kesambi
Surya Pro - Never quit
Otokol I
Bemo 4.mp4
Otokol II
Unverhoffte Fahrt
Frontscheibe I

Budi makes stickers for bemo in a cramped, dingy roadside office. He uses a computer program to manipulate pictures, then prints them onto transparent material. Budi has magazines which he mines for pictures, but some owners bring their own, or want him to copy new fads that have become popular and are drawing attention.


Extract of Helene van Klinkens Article "Decorated for success" on Bemo in Kupang, West Timor (https://www.insideindonesia.org/decorated-for-success)
Frontscheibe II
Frontscheibe III
Bemo 2.mp4
Counting Bemo
Mobile Kameraarbeit I
Audioaufnahme
Mobile Kameraarbeit II (The Streets of "Labu")
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Letzte Aktualisierung: 09.06.2020 © Nimal Bourloud & Kurt Zurfluh